Heiligendamm war gestern

Lebendig und kräftig und schärfer: Die 31. Evangelische Leistungsschau in Köln

Alles habe er kommen sehen. Das Chaos, den Schmutz, die Perversen, die Islamisten

Heiligendamm, das war gestern. Und Heiligendamm war ein Nonnenfürzchen. Heute Morgen neun Uhr hat Innenminister Schäuble die Bundeswehr in Marsch gesetzt, um Köln zu entsetzen. Die Karvevalsmetropole gleicht seit drei Tagen einer belagerten Festung. „Kirchentag versinkt im Chaos“, „100.000 Christen von Ungläubigen überrannt“, bellen die Schlagzeilen des Boulevard. Sie haben auch schon einen Schuldigen ausgemacht: das Motto der 31. Evangelische Leistungsschau: „Lebendig und kräftig und schärfer“. Das Wort aus dem Hebräerbrief 4, 12 sei wohl „etwas missverständlich“, wird Kichentagspräsident Höppner kleinlaut in Bild zitiert. Da kann Kirchenrat Klemm nur höhnisch lachen. „Hier herrscht Krieg“, stöhnt der dicke, haarlose Mann und verteilt ein Dutzend Stahlheme an die Korrespondenten.

Wir sitzen in seinem Büro am Kölner Gustav-Heinemann-Ufer. Er, Klemm, sagt Klemm, habe ja gewarnt und dringlich abgeraten. Denn er habe es kommen sehen. Alles habe Klemm kommen sehen. Das Chaos, den Schmutz, die Perversen, die Islamisten. Und die Häme, vor allem die Häme, die nun, unkt Klemm, unverdient, aber kübelweise ausgegossen werde. Über das große Ganze und das ganz Kleine und natürlich über ihn, den langgedienten Kirchentagsobmann und Kirchentagsherbergsvater, obwohl er – wie schon gesagt – gewarnt, dringlich abgeraten und wie immer alles habe kommen sehen. Jetzt solle die Presse sich ruhig durch den infamen Dreckhaufen wühlen und die Schande herausposaunen und unter die Menschen bringen. Ihm sei das mittlerweile wurst, er werde seinen Kopf nicht länger hinhalten für Ketzer wie Huber, Höppner, Käßmann und Konsorten. Ein Klemm wisse schließlich, wann der Rubikon überschritten ist.

Erschöpft plumpst er in seinen Drehstuhl und schnappt nach Luft. In der schmucklosen Büroetage am Rheinufer wird es für Augenblicke sehr still. Nichts ist zu hören außer dem asthmatischen Hecheln des Kirchenrates, einem im Con-grazia-Modus gestöhnten Orgasmus aus dem Nebenzimmer und den dumpf gegen die geschlossenen Doppelfenster rollenden „Allahu akba“-Rufen der Muslimbruderschaften, die seit Stunden die Geschäftsstelle des Kirchentages belagern.

Wo denn nun all die die perversen Beweisfotos seien, insistiert endlich eine dpa-Kollegin. Man ersticke daran, hustet Klemm. Er erhebt sich ächzend, weist auf seinen Aktenschrank, vor dem sich ein Dutzend Kartons stapeln. „Kirchentagsanmeldungen. Swinger-Clubs, Fußfetischisten, Sado-Maso-Aktivisten, Nekrophile, Sodomiten, was Sie wollen.“ Sekunden später hört man den Bild-Reporter anerkennend durch die Zähne pfeifen. „Echte Topsauereien“, frohlockt der Fachmann und zeigt die Fotos herum.

Er hat recht. Zu sehen sind Geschlechtsteile in allen Farben, Formen und Größen sowie Kopulationen in allen möglichen und unmöglichen Stellungen: zu zweit, zu dritt, zu viert, in Leder und Latex, mit Tieren, Küchengeräten und Kurzwaren, mit heimischen und exotischen Obstsorten, geweihten Kerzen und Produkten der Tabak- und Metall verarbeitenden Industrie. Die Exerzitien tragen Titel wie „Kreuzhang“, „die warmen Brüder vom Tal“, „Salomes Osterglocken“, „Sodom und Gomorra“, „Apocalypse now“, „Lot und seine scharfen Töchter“ und sind versehen mit schönen Grüßen von „den geilen drei Königen“, von „David mit seinem Goliath“, vom „Vierer mit Steuermann“, von „Anal-Anna“ oder „der teilrasierten Strapsmaus Mary“. Klemm schwitzt, Klemm ankt. Klemm wütet. So ginge das seit Wochen. Tag für Tag ein Wäschekorb voller Sudeleien. Wer Wind sät, wird Sturm ernten, so stehe es schwarz auf weiß bei Hosea 8, 7. Aber die Käßmann habe immer wieder abgewiegelt, von geschmacklosen, aber harmlosen Witzen gefaselt.

Doch wer mit buhlerischen Motti handelt, sage er, der Kirchentagsveteran Klemm, müsse mit allem rechnen. Das sei ein Aufruf zur Unzucht. Wie solcheiner auch schon ergangen sei vor zwei Jahren zu Hannover, „als dieser hässliche und talentfreie Gnom, dieser, na, wie heißt er denn gleich, dieser Heinz Kunze sang: ‚Was man ganz tief drinnen spürt / das kommt nicht von ungefähr‘.“ Heuer heiße die Verkündigung „lebendig und stärker und schärfer“ und ein Kölner Narrensextett namens „de Höhner“ plärre: „Da simmer dabei, und dat is prima.“ Im Auftrag vom Huber, zürnt der alte Kirchenrat.

Aber der Herr, sagt Klemm, spricht so: „Also will ich der Unzucht im Lande ein Ende machen. Und man soll eure Unzucht auf euch legen, und ihr sollt eurer Götzen Sünde tragen“, so steht es bei Hesekiel 23, 48. Darum möge sich die Presse nur gründlich umsehen und alles aufnotieren und aufdecken. Wenn er, Klemm, hier heil herauskäme, werde er konvertieren und noch heute ein Übertrittsgesuch an Kardinal Meisner aufsetzen, diesen Fels des aufrechten Glaubens, der dem Huber erst gestern überreicht habe die päpstliche Protestnote „Sanctus ira dies“ und ebenfalls schon lange wisse, dass es mit den Lutherischen kein gutes Ende nehmen würde.

Nachdenklich verlassen wir den geplagten Mann. Sicher scheint nur eins: Der Kampf der Kulturen ist in vollem Gange.MICHAEL QUASTHOFF