„Im Anfang war das Wort“

Aber welches Wort? Im Streit um die „Bibel in gerechter Sprache“ pachten sowohl die ÜbersetzerInnen als auch ihre KritikerInnen die Wahrheit. Unrecht haben daher beide

Melanie Köhlmoos ist Privatdozentin an der Theologischen Fakultät der Uni Göttingen und Heisenberg-Stipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Über die „Bibel in gerechter Sprache“ hat sie auf dem Kirchentag diskutiert

2006 erschien die „Bibel in gerechter Sprache“. Inzwischen ist die dritte Auflage ausverkauft, eine vierte wird erwogen. So schnell ist selten eine Bibelübersetzung populär geworden. Dennoch setzt es auch harsche Kritik. Konservative sprechen von Fälschung und Ketzerei; es wird gefordert, dass BefürworterInnen der „Bibel in gerechter Sprache“ aus ihren kirchlichen Ämtern zurücktreten. Der Kirchentag diskutiert auf insgesamt acht Veranstaltungen die „Bibel in gerechter Sprache“. Aus dem Projekt ist ein Streit um die Wahrheit des biblischen Wortes geworden – für Außenstehende vielleicht nur ein Streit um Worte. Worum geht es hier eigentlich?

Die „Bibel in gerechter Sprache“ hat drei fundamentale Übersetzungsprinzipien: Sie soll geschlechtergerecht formuliert sein, die Ergebnisse des jüdisch-christlichen Dialogs berücksichtigen und soziale Gerechtigkeit voranbringen. Daneben tritt die Wahrnehmung, „dass die Sprache traditioneller Übersetzungen ganze Bevölkerungsgruppen nicht mehr erreicht“. Beabsichtigt ist also eine sprachliche und sachliche Modernisierung. Jedoch bleibt in der „Bibel in gerechter Sprache“ sowie in der Kontroverse über sie unklar, was hier eigentlich modernisiert werden soll: die Bibel oder ihre Auslegung.

Hört man „Bibelübersetzung“, denkt man „Luther“. Martin Luthers Übersetzung ist sprachlich, methodisch und theologisch ein Grunddatum. Gleichwohl steht sie in einer Tradition, die mit der Übersetzung der fünf Bücher Mose vom Hebräischen ins Griechische im 3. Jahrhundert vor Christus begann, und die zahllose Übersetzungen, des Alten und Neuen Testaments, nach sich gezogen hat. Das 20. Jahrhundert hat ungefähr fünfzig deutsche Bibelübersetzungen gesehen, darunter „Die Schrift“ von Martin Buber und Franz Rosenzweig, die Bibelübersetzung von Jörg Zink, die katholische Einheitsübersetzung und die einzige ökonomische Bibelfassung, die „Gute Nachricht“.

Jede dieser Übersetzungen hat es unternommen, alte Texte neu zum Sprechen zu bringen, verständlich zu machen und zu betonen, dass in ihnen trotz der altertümlichen Gestalt ein zeitloser, ja, überzeitlicher Gehalt steckt. Dies ist die erste Aufgabe der Theologie, die Hauptkompetenz von TheologInnen – aus diesem Grund lernen evangelische TheologInnen Hebräisch, Griechisch und die Methodik der Bibelauslegung. Dass philosophische und soziologische Paradigmenwechsel eine solche Arbeit immer neu verlangen, sich Text und Auslegung gegenseitig bedingen, ist Allgemeingut der Theologie. Wieso also die heftige Kontroverse?

Der Streit um die „Bibel in gerechter Sprache“ verdankt sich zum Teil dem selbstbewussten Auftritt der ÜbersetzerInnen. Sie behaupten plakativ „Eine neue Übersetzung ist notwendig“ und wischen damit alle genannten Bemühungen vom Tisch. Das Postulat einer „gerechten Sprache“ trägt mit seinem normativen Anspruch zusätzlich dazu bei, dass diese Bibelübersetzung mehr als nur ein theologisches Projekt ist. Der Kampfbegriff „gerechte Sprache“ macht alle anderen Übersetzungen von vornherein „ungerecht“. Insofern ist die „Bibel in gerechter Sprache“ ein gezielter Angriff auf etablierte Theologien, und diese haben den Fehdehandschuh aufgenommen.

Dabei ist unumstritten, dass die Gleichheit der Geschlechter, die soziale Verantwortung und das Bewusstsein des jüdischen Erbes aus den Texten der Bibel abgeleitet werden können. Problematisch ist, dass die ÜbersetzerInnen der „Bibel in gerechter Sprache“ behaupten, diese Interpretationsgrundsätze seien eins zu eins in den Texten enthalten. 1. Mose 1,27 wird übersetzt: „Da schuf Gott Adam, die Menschen, als göttliches Bild, als Bild Gottes wurden sie geschaffen, männlich und weiblich hat er, hat sie, hat Gott sie geschaffen.“ Der hebräische Text gibt diese Übersetzungsmöglichkeit nicht her, weil Gott grammatisch als Maskulinum erscheint. Dass das „Bild Gottes“ die Vorstellung zulässt, Gott hätte kein Geschlecht, sei männlich oder weiblich, ist eine Schlussfolgerung, die man in der Lektüre ziehen kann, die der Text aber nicht derart unmissverständlich ausdrückt.

Aus Luthers „Du sollst nicht ehebrechen“ wird „Verletze keine Lebenspartnerschaft“

Ähnlich problematisch ist das bekannte Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“, das in der „Bibel in gerechter Sprache“ lautet „Geh nicht fremd!“ (2. Mose 20,14) oder „Verletze keine Lebenspartnerschaft“ (5. Mose 5,18). Es ist die Aufgabe der Theologie, nichteheliche Lebensgemeinschaften mit den biblischen Verheißungen zur Deckung zu bringen – in den mehr als zweitausend Jahre alten Texten steht das nicht. Dass der doppelt überlieferte Text des Ehebruchsverbots so unterschiedlich übersetzt wird, verkompliziert das Problem noch zusätzlich.

Mit diesen Anpassungen des biblischen Ausgangstextes an die gegenwärtige Wirklichkeit macht sich die „Bibel in gerechter Sprache“ angreifbar. Hier ist Kritik gefordert. Doch ist die theologische Kritik, die sehr harsch von Fälschung und Ketzerei spricht, insofern nicht sachgemäß, als „die Wahrheit“ oder gar „der Urtext“ uns nicht zugänglich ist.

Alle Übersetzungen biblischer Texte beruhen auf mehr oder weniger gut gesicherten Hypothesen über zwei antike Sprachen (Bibelhebräisch und Bibelgriechisch), die nicht immer gelungen sind. Die Bitte des Vaterunsers (Matth. 6,12) lautet eher „Und erlass uns unsere Schulden“ als „Und vergib uns unsere Schuld“. Hier hat die „Bibel in gerechter Sprache“ der Luther-Übersetzung gegenüber Recht, auch kirchliche Kritiker müssen sich das gefallen lassen.

Jede neue Bibelübersetzung ist notwendig, weil keine Übersetzung wirklich richtig sein kann. ÜbersetzerInnen dürfen deutlich machen, dass ihre Übertragung immer auch Interpretation ist. Doch sie dürfen nicht behaupten, dass sie wortwörtlich im Text zu finden ist. Diesen Unterschied hat die „Bibel in gerechter Sprache“ nicht berücksichtigt. Überdies wird auch diese Übersetzung ganze Bevölkerungsgruppen nicht erreichen. „Meine Lebendigkeit kehrt zurück. Gott führt mich auf gerechten Spuren, so liegt es im Namen Gottes“ (Psalm 23,3) ist kein Gewinn gegenüber „Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen“. Und Luthers „Ich bin der ich bin“ (2. Mose 3,14) ist eine theologische Aussage, die zwar schwer verständlich ist, aber zum Weiterdenken anregt. Das „Ich bin da, weil ich da bin“ der „Bibel in gerechter Sprache“ bleibt weit dahinter zurück und produziert nur scheinbaren Tiefsinn.

Natürlich kann etwa soziale Verant- wortung aus den Texten der Bibel abgeleitet werden

Trotz vieler guter Entscheidungen ist die „Bibel in gerechter Sprache“ ein eher gescheitertes Projekt. Sie ist zwar weder Ketzerei noch Fälschung, und die schweren Geschütze kirchlicher Kritik sind hier nicht immer angemessen. Keine Übersetzung ist theologisch wirklich falsch, Entscheidungen darüber sind häufig voreilig und eindimensional. Wer eine theologisch und sprachlich moderne Neuübersetzung will, die sich von 1. Mose bis zur Offenbarung lesen lässt, findet mit der „Guten Nachricht“ eine bessere Fassung vor.

MELANIE KÖHLMOOS