Stimmgutachten bringt keine Wende

Im Prozess um den Überfall auf den Deutschäthopier Ermyas M. in Potsdam schafft auch eine zweite Expertise keine Klarheit darüber, ob der Angeklagte der Täter mit der Fistelstimme ist. Der Verteidiger fordert nun den „längst überfälligen Freispruch“

AUS POTSDAM ASTRID GEISLER

Viel hatte sich die Staatsanwaltschaft von diesem Gutachten erhofft. Es sollte die Wende bringen im Prozess um den Überfall auf den Deutschäthiopier Ermyas M. vor dem Potsdamer Landgericht. Es sollte einen „akustischen Fingerabdruck“ des Hauptangeklagten Björn L. liefern und die ins Wanken geratene These der Ermittler doch noch absichern: Der 30-jährige Mann mit dem Spitznamen „Pieps“ ist schuldig.

Aber die Hoffnung der Staatsanwälte ging nicht auf. Der Stimmgutachter Sameh Rahman von der Universität Hannover hat mit Hilfe einer von ihm entwickelten wissenschaftlichen Methode bewertet, ob die ungewöhnlich piepsige Stimme des Angeklagten identisch ist mit jener Fistelstimme, die man auf einem zufällig entstandenen Tonmitschnitt des Überfalls hört.

Das Ergebnis, das der Gutachter am Freitag vor Gericht vortrug: Die Wahrscheinlichkeit einer Stimmenidentität liege bei weniger als 50 Prozent. Zwei Vergleichsproben ergaben eine Wahrscheinlichkeit von 49 beziehungsweise 47 Prozent. „Alles, was unter 50 Prozent liegt, spricht für eine Nichtidentität“, sagte Rahman. Gleichzeitig schränkte er jedoch die Aussagekraft seiner Expertise ein: Auf dem Tonmitschnitt des Überfalls und auf der Vergleichsprobe würden schließlich unterschiedliche Dinge gesagt. Wenn eine neue Stimmprobe des Angeklagten genommen werden könnte, müsste der Text so vorgegeben werden wie auf dem Tonbandmitschnitt von der Tat. Der Anwalt des Opfers sagte nach der Verhandlung: „Auch dieses Gutachten reicht nicht. Die Frage ist, ob es überhaupt brauchbar ist.“

Der Doktorand Ermyas M. war Ostern 2006 in Potsdam niedergeschlagen worden. Während des Überfalls rief er seine Frau an. Ihre Handy-Mailbox zeichnete ein Wortgefecht mit den Tätern auf. Der Familienvater lag nach dem Überfall Wochen im Koma. In dem Prozess müssen sich der Björn L. wegen gefährlicher Körperverletzung und der 31-jährige Thomas M. wegen unterlassener Hilfeleistung verantworten. Beide bestreiten die Tat.

Anfang Mai hatte schon einmal eine Gutachterin die Stimme von Björn L. mit der Stimme auf dem Mailbox-Mitschnitt verglichen. Die Mitarbeiterin des Landeskriminalamts war damals zum Ergebnis gekommen, dass sich die Frage nach der Identität der Stimmen wegen der schlechten Tonqualität des Handy-Mitschnitts nicht zweifelsfrei beantworten lasse. Allerdings gebe es bemerkenswerte Gemeinsamkeiten der Stimmen. Weil ein solches Ergebnis kaum für einen Schuldspruch ausreichen dürfte, hatte die Staatsanwaltschaft das Gegengutachten in Auftrag gegeben. Nach Ansicht der Verteidigung ist aber auch die neue Expertise ein weiterer Baustein für einen „längst überfälligen Freispruch“ des Hauptangeklagten. Verteidiger Matthias Schöneburg sagte am Freitag: „Etwas anderes als Freisprüche“ seien bei „dieser Beweislage völlig undenkbar“. Die Indizien gegen den Mitangeklagten Thomas M. sind noch schwächer, und am Freitag hat das Gericht die Beweisaufnahme vorerst beendet.