WIR:HIER

Kapitel 2

Wie immer?“

Laura schaute in die Runde. Es war mittlerweile ein Ritual: Wenn es nicht zu spät geworden war, gingen sie nach der Band-Probe in die Shisha-Bar am Volkspark. Felix aus der Zwölften jobbte hier, die Musik war so okay wie die Preise und man wurde in Ruhe gelassen

„Wir müssen bei ‚Hier ist die Hölle‘ viel mehr auf den Rhythmus achten, vor allem du, Szusza. Das ist ein Song mit Gefühl.“

„Gefühl, Gefühl. Du meinst Lahmarschigkeit. Wie ich spiele, ist es genau richtig. Außerdem“, Szuzsa grinste in Richtung Cem, „willst du mit deiner Schmusenummer nur die Bräute rumkriegen. Die Guten fallen aber nicht auf Blues rein.“

„Ey, wir können gerne tauschen. Ich kann auch Schlagzeug spielen.“

Szusza winkte lässig ab. „Nee, nee, schon gut. Aber du hast heimlich geübt, oder?“

Statt einer Antwort ließ Cem seine Finger einen imaginären Bassverlauf spielen.

„Ich hab eine Überraschung“, platzte Laura dazwischen. Sie konnte es genau in diesem Moment einfach nicht mehr für sich behalten.

„Du bist schwanger!“, rief Matteo.

„Genau, du Idiot und du landest heute noch in der Notaufnahme.“

„Oh, da hab ich aber Angst. Schlotter!“

„Jetzt lass sie mal erzählen“.

„Also“, Laura fingerte den Brief aus ihrer Tasche und wedelte damit vor den Nasen der anderen herum. „Das … ist unser Ticket ins Glück! Wir sind für den Berliner Schüler-Band-Wettbewerb nominiert.“

„Was?“

„Wir haben uns doch gar nicht beworben!“

Laura lächelte. „Doch. Ich hab denen das Video von ‚Wer du bist‘ geschickt und es erst mal für mich behalten. Wenn es nicht geklappt hätte, wäre niemand traurig. Und außerdem“, ihre Unterlippe schob sich unwillkürlich nach vorne, „außerdem hatte ich keinen Bock auf Diskussionen.“

„Das ist ja obergeil! Der Hammer.“ Cem sprang auf und tänzelte ein paar Schritte um den Tisch.

„Finde ich auch“, sagte Laura. „Sogar, wenn wir nicht gewinnen sollten: Wir haben auf jeden Fall einen richtigen Gig, statt immer nur vor Schülern und Eltern zu spielen.“

„Und wenn wir Erster werden?“

„Plattenvertrag, drei Konzerte in Brandenburg, 3.000 Euro für die Bandkasse“, erklärte Laura.

„Sauber!“

„Also, ich find’s scheiße!“, unterbrach Matteo. Szuzsa, die neben ihm saß, boxte ihm kräftig auf den Oberarm. „Du tickst ja nicht richtig. Das ist super!“

„Aua!“ Matteo rieb die schmerzende Stelle.

Szusza war stark. Von ihrer alten Schule war sie geflogen, weil sie einem Jungen das Nasenbein gebrochen hatte. „Er hat es verdient“, war alles, was sie zu ihrer Entlastung sagte. Schulkonferenz, kurzfristiger Ausschluss vom Unterricht, Verweis. Die geforderte schriftliche Entschuldigung bei dem verletzten Jungen landete als zerknüllter Zettel an seinem Kopf. Daraufhin beschloss die Schulleitung, dass sie nicht mehr tragbar sei.

Aber Szusza war nicht nur ziemlich stark, sie war auch eine verdammt gute Schülerin. Ihr Direktor bot an, ihr einen Ersatzplatz in einer anderen Oberstufe zu suchen. So kam sie zu Beginn des 11. Schuljahres ans Liane-Berkowitz-Gymnasium. Sie gab sich wenig Mühe, beliebt zu sein. Von den Schminkies wurde sie von Anfang an links liegen gelassen, in deren Augen hatte sie keinen Style. Den Jungs, die es wissen wollten, machte sie schnell klar, dass so ein Nasenbruch jederzeit wieder passieren könne. Wenn der Unterricht sie langweilte oder nervte, trommelte sie mit den Fingern auf den Tisch, und da sie Rhythmusgefühl hatte, ergab es sich von selbst, dass sie Mitglied bei „Goldstück“ wurde.

Die Band hatte kurz zuvor den Drummer rausgeworfen, Szusza kam wie gerufen.

„Aua! Szusza, spinnst du? Ich hab eben keinen Bock auf einen Wettbewerb. Das ist eine ganz leere Show. Der Senat will sich mit Schulbands schmücken und dann? Hängen wir bei einem Mayor-Label fest. Ohne mich.“

„Das sagst du nur, weil ich uns heimlich angemeldet habe. Du bist eingeschnappt.“

„So ein Unsinn.“

„Nee, kein Unsinn. Du willst den Boss spielen und jetzt hat die kleine Laura deine großen Revoluzzer-Pläne unterlaufen. Dir geht es nicht um die Musik oder die Band, dir geht es nur um dich.“

„Wir stimmen ab“, mischte Szusza sich ein, „Wer meint, dass wir mitmachen, Finger hoch.“ Demonstrativ hoben sie und Laura ihre Hände.

„Nee, danke, ich glaub, ich such mir lieber eine andere Band“, sagte Matteo.

„Das finde ich auch. Wir können Matteo nicht zwingen. Dann steig ich auch aus“, stimmte Cem zu.

Laura trank einen Schluck Cola. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. „Matteo hat einfach Schiss zu verlieren“, sagte sie.

„Ich hab keinen Schiss, sondern keine Lust für den Senat den Hampelmann zu spielen.“

„Von wegen.“

„Könnt ihr beide mal den Mund halten?“, giftete Cem. „Ewig eure Ego-Spiele. Laura, dass du uns nicht mal gefragt hast, das ist typisch für dich, du willst immer alleine entscheiden, obwohl wir eine Gruppe sind.“ Bevor Laura etwas entgegnen konnte, sprach Cem weiter. „Aber, was du hier abziehst, Matteo, ist genauso bescheuert. Goldstück wird keine Staats- oder Bullenband, nur weil das vom Senat gesponsert wird. Wir bleiben immer noch wir selber.“

Sie saßen einen Moment ratlos da, bis Szusza aufstand. „Ich muss nach Hause.“ Sie blickte zu Matteo und Laura. „Vielen Dank an euch beide, dass ich jetzt schlechte Laune habe.“

Sarah Schmidt, publizierte bereits diverse Bücher und ist in zahlreichen Anthologien vertreten. Ihr aktueller Roman: „Eine Tonne für Frau Scholz“ ist im Verbrecher Verlag erschienen und in der Hotlist der 10 besten Bücher aus unabhängigen Verlagen 2014. Für die taz schreibt sie den Fortsetzungsroman WIR:HIER