Geht es den Grünen gut?

ANDREAS WYPUTTA, 38, ist Chef von Dienst der taz nrw. Mitglied der Grünen war er nie. Dabei ist ist ihm die Partei nicht nur wegen ihrer entspannten Umgangsformen sympathisch: Was der CDU ihr „Parteiabend“ ist, heißt bei den Grünen schlicht „Party“. Inhaltlich hält er die Grünen für unverzichtbar – selbst den Klimaschutz hätten die Altparteien nicht auf der Agenda.

JA
Rock‘n‘Roll oder Mini-Playback? Vor dem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen Grünen am kommenden Wochenende in Bochum analysiert die taz die Lage der einstigen Alternativen: Kann die Partei ihre aktuell hohen Umfragewerte halten? Sind die Grünen durchsetzungsfähig?

Streit war früher. Auf ihrem Landesparteitag am kommenden Wochenende in Bochum werden die Grünen die Themen einer klassischen linksliberalen Partei diskutieren. Auf der Agenda steht die Sozialpolitik genau wie der drohende Klimawandel und die Familienpolitik – gesellschaftlicher Mainstream also.

Glaubhaft wird der gerade von den Grünen vertreten: Auf der Rednerliste steht die ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach, mittlerweile Mitglied des DGB-Bundesvorstands, ebenso wie Ursula Sladek, Geschäftsführerin des Ökostromanbieters Elektrizitätswerke Schönau. Nicht die Grünen haben sich also angepasst – ihre ureigensten Themen Umwelt, Soziales und Bildung sind inzwischen zur Agenda zumindest der urbanen Mittelschicht geworden.

Gespiegelt wird dies durch das Personaltableau der Partei. Arbeitseifrig und routiniert bespielt gerade die Landtagsfraktion diese Agenda – und zeigt, dass sich personelle Kontinuität auch auszahlen kann. Beispiel Bildung: Der Kurswechsel der SPD hin zur Gemeinschaftsschule wäre ohne das Engagement einiger FachpolitikerInnen kaum denkbar. Kritik, die Partei habe sich in der Opposition nicht ausreichend personell erneuert, läuft deshalb ins Leere. Schließlich haben die beiden grünen Ex-Minister Bärbel Höhn und Michael Vesper die landespolitische Bühne längst verlassen.

Seit Jahren stabil präsentiert sich daher auch die Zahl der Mitglieder. 10.000 Menschen in NRW gehören den Grünen an. Während die direkte Konkurrenz von der FDP inhaltlich neoliberal-radikal argumentiert, sich aus PR-Gründen aber sozial geriert, bieten die Grünen noch immer ein Stück Diskussionskultur. Auf dem Landesparteitag wird auch der Afghanistan-Einsatz, der von einer Mehrheit der Bundestagsfraktion befürwortet wird, Thema sein. Die Zweifel der Basis bleiben.

Überhaupt, die Bundesebene – zu oft wurde der eher linke Landesverband gerade während der rot-grünen Regierungszeit in Berlin von ihr inhaltlich marginalisiert. Die katastrophalen Hartz-Beschlüsse haben den Trend zum Fünf-Parteien-System beschleunigt, werden die Linkspartei bei den Wahlen 2010 in Fraktionsstärke in den Düsseldorfer Landtag bringen. Sollte die von Lafontaine ebenso wie von Schröder traumatisierte SPD bei ihrer Verweigerungshaltung gegenüber der Linkspartei bleiben, bliebe den Grünen nur die Opposition oder die noch immer kaum vorstellbare Diskussion um eine Koalition mit der CDU. Die Schwäche der gesammelten Linken in Nordrhein-Westfalen bleibt die Schwäche der Sozialdemokraten, nicht der grünen Partei.

ANDREAS WYPUTTA

NEIN

Ginge es nur nach den Umfragen, bräuchten sich die Grünen keine Sorgen machen. Sowohl im Bund als auch im Land weisen die Demoskopen die Partei mit stabilen Werten aus, nach denen sie bei einer Wahl derzeit besser abschneiden würde als bei den beiden Rot-Grün-Abwahlurnengängen 2005. Jubilierend könnten die Grünen in NRW also ihre Landesdelegiertenkonferenz begehen. Doch so wird es nicht sein. Die Stimmung ist alles andere als euphorisch. Aus gutem Grund.

Denn „gefühlt“ geht es den Grünen weit weniger gut. Viele wissen, dass es ist nicht ihre eigene Stärke ist, der sie ihr Umfragehoch verdanken – das angesichts der Aufregung über den Klimawandel für eine Öko-Partei erstaunlich niedrig ausfällt. Der demoskopische Aufwind resultiert auf Bundesebene aus dem Zustand der Sozialdemokraten in der Großen Koalition (von dem allerdings die Linkspartei noch stärker profitiert). Auf Landesebene nützt ihr ebenfalls die Schwäche einer konfusen und zur Selbstkritik unfähigen SPD, die es immer noch als himmelschreiende Ungerechtigkeit empfindet, dass die Wählerinnen und Wähler sie vor zwei Jahren von der Regierungsbank verbannt haben. Da wirken die Grünen zwischen Rhein und Ruhr weniger kopflos – ohne dabei allerdings den Eindruck vermitteln zu können, Schwarz-Gelb wirklich stellen zu können.

PASCAL BEUCKER, 40, ist Politikredakteur der taz nrw und beobachtet seit vielen Jahren mit kritischem Blick die Entwicklung nicht nur der Grünen in Nordrhein-Westfalen. Dabei hat der Verlust von Macht sein besonderes Interesse geweckt: Im vergangenen Jahr erschien im Econ-Verlag sein gemeinsam mit Frank Überall verfasstes Buch „Endstation Rücktritt. Warum deutsche Politiker einpacken“.

Das Dilemma der Grünen: Grundsolide sind sie geworden – und stocklangweilig. Da sie keine Vorstellung eines gesellschaftlichen Gegenentwurfs mehr haben, wirkt ihre Kritik oft zahnlos. So nennen die grünen Landtagsabgeordneten in ihrer Bilanz der ersten zwei Jahre Schwarz-Gelb ernsthaft als ersten – und somit zentralen – Kritikpunkt: „Das Land saniert seinen Haushalt zu Lasten der Kommunen.“ Auch wenn‘s nicht falsch ist: Ist das wirklich der Hauptkritikpunkt? Gesellschaftlicher Widerstand gegen Rüttgers & Co. lässt sich so nicht mobilisieren. Aber will das die Partei überhaupt?

„Das Bestreben, nirgends anzuecken, ist nicht nur unzeitgemäß, es macht die Grünen auch grau“, warnte der jetzt in den Bremer Senat wechselnde nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Reinhard Loske auf einem grünen „Zukunftskongress“ im Herbst. Recht hat er. Es fehlt die Leidenschaft und der Veränderungswille. Grüne Initiativen sorgen inzwischen weder für Empörung noch für Begeisterung. Man nimmt sie zur Kenntnis. Die Konsequenz ist jene vorherrschende Lethargie innerhalb der Partei. Dabei wünschen sich nicht wenige an der Basis, die Grünen würden sich das Motto des gestern in Köln zu Ende gegangenen Evangelischen Kirchentags zu eigen machen: „Lebendig und kräftig und schärfer“. Doch dazu fehlt der Mut.

PASCAL BEUCKER