„Weit entfernt ist die Grenze nicht mehr“

RECHT Der Bahnstreik ist gerade eben noch verhältnismäßig, sagt Manfred Löwisch

■ Der 77-jährige Rechtswissenschaftler ist Experte für Arbeitsrecht und war einst Rektor der Uni Freiburg.

taz: Herr Löwisch, können Streiks in Deutschland auch verboten werden?

Manfred Löwisch: Streikverbote per Gesetz sind in Deutschland unzulässig. Sie verstoßen gegen die in Artikel 9 des Grundgesetzes garantierte Koalitionsfreiheit. Es ist Sache der Gerichte, Streiks durch einstweilige Verfügungen zu verbieten, wenn sie unverhältnismäßig sind.

Wann ist ein Ausstand generell unverhältnismäßig?

Unverhältnismäßig ist ein Ausstand, wenn er die vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Arbeitskampfregeln nicht einhält. Zu diesen Regeln gehört die Sicherung der Mindestversorgung der Allgemeinheit mit öffentlichen Gütern, unter anderem auch im Verkehrswesen. Deshalb haben Piloten und Lokführer abgesprochen, nicht gleichzeitig zu streiken.

Erfüllt der GDL-Streik diese Kriterien?

Den GDL-Streik kann man noch nicht als in diesem Sinne unverhältnismäßig bezeichnen. Er ist immer noch zeitlich begrenzt. Auch kann die Bahn 30 Prozent des Personenverkehrs aufrechterhalten. Weit entfernt ist die Grenze aber nicht mehr: Würde der Schienengüterverkehr auf Dauer lahmgelegt und lägen deshalb große Teile der Wirtschaft still, wäre die Grenze zur Unverhältnismäßigkeit überschritten. Dann hätte ein Antrag der Bahn auf einstweilige Verfügung Erfolg.

INTERVIEW: WOLFGANG MULKE