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: Esther Slevogt betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

Unter Boheme stellt man sich meist etwas Positives vor. Gut gekleidete Menschen in angesagten Läden zum Beispiel, die vor ihren schicken Apple-Laptops sitzen. Als Giacomo Puccini vor gut 110 Jahren seine gleichnamige Oper schrieb, hatte er eher eine verarmte Künstlerschicht im Sinn, die von ihrer Arbeit nicht leben kann. Nehmen wir Rodolfo und Marcello, die in einer heruntergekommenen Pariser Mansarde hausen. Das Geld reicht nicht für Brennholz, also werden Manuskripte verheizt. Mit mäßig wärmendem Effekt, versteht sich. Mit „Die Boheme am Kottbusser Tor“ versucht man nun, sich Puccinis Grundgedanken wieder anzunähern, der seine Oper heute wohl „Les Précaires“ genannt hätte. In Festsaal Kreuzberg hat Patrick Wengenroth die Oper als Geschichte über urbane Penner und modernes Künstlerproletariat mit Arie von Hartz IV neu inszeniert. Von Zeiten, als die herrschende Klassen die Übersicht verlor und das Proletariat mächtig emporstrebte, handelt Arthur Schnitzlers Tragödie „Fräulein Julie“, in der ein Fräulein das Liebesspiel mit einem Diener verliert. An der Tribüne am Ernst-Reuter-Platz inszeniert Anna Langhoff jetzt die Geschichte, und zwar mit dem Dramatiker, Schauspieler und Regisseur Alexej Schipenko, der nicht nur den Jean spielt, sondern auch die Musik für den Abend geschrieben hat. In der Justizvollzugsanstalt Tegel spielt das Gefangenenensemble eine Variation über Goethes Götz von Berlichingen: „Räuber. Götz“ (Kartenverkauf in der Volksbühne). Am Freitag eröffnen die Woesner-Zwillinge an der Kollwitzstraße ihren Theatersommer mit dem Spektakel „Körper, Mumien, Welten“ über einen Mann, der aus Leichen Skulpturen fabriziert. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen sind höchstwahrscheinlich ausgesprochen beabsichtigt, zumal der Schauplatz Guben sein soll.

„Die Boheme am Kottbusser Tor“: Festsaal Kreuzberg, ab Mi.

„Fräulein Julie“: Tribüne, ab Do.

„Räuber. Götz“: JVA Tegel, 13./20./22./27./29. Juni, 18 Uhr

„Körper, Mumien, Welten“: Kollwitzstr. 37, ab Fr.