Murmeln bis Tagesanbruch

SCHLAGLOCH VON ILIJA TROJANOW Alles wunderbar im Ayurveda-Resort. Sogar die vielen Chinesen

■ ist Schriftsteller und Weltensammler. Letzte Buchveröffentlichungen: „Der überflüssige Mensch: Unruhe bewahren“. (Residenz Verlag 2013) und „Stadt der Bücher“ mit Anja Bonhof (Langen/Müller 2012).

Seit zwei Monaten lebe ich am Rande eines Dorfes an der Westküste Sri Lankas, auf großzügige Einladung der one world foundation, einer wunderbaren Organisation, die ein Ayurveda-Resort betreibt, um eine kostenlose Schule für mehr als tausend Kinder zu finanzieren. Ich schreibe einen Roman, der mit meiner Umgebung nichts gemein hat. Ich verlasse die schöne Anlage mit dem weiträumigen Palmenhain so gut wie nicht, ich schwimme, ich esse, ansonsten sitze ich am Computer, weit entrückt von allem.

Und doch sickert etwas von dem Dorfleben, von dem Land, von der Welt in meine abgewandte Wahrnehmung hinein. Kaum bemerkt, nebensächlich aufgesogen, ohne Absicht, hatte ich mir doch fest vorgenommen, mich auf nichts einzulassen, was mich in meiner Versenkung stören könnte. Und trotzdem merke ich, wie selbst derjenige, der sich vor seiner ihm fremdem Umgebung verschließt, am Ende doch einiges von ihr mitbekommt.

Buddha im Schneidersitz

Die Tage beginnen mit den murmelnden Gebeten aus dem nahen Tempel, die wie das Meeresrauschen heranrollen, aber auf anderer Frequenz. Der Buddha in diesem Tempel ist eine jener Gestalten ohne Ausdruck im Gesicht, ohne detaillierte Anatomie, der Versuch, eine Idee im Schneidersitz abzubilden, gegen die expliziten Anweisungen des Gautama selbst. Das Murmeln dauert bis zum Sonnenaufgang.

Auf die Gebete folgt „Für Elise“ in einer piepsigen Version, die sich anhört wie eine Autoalarmanlage – der Milchmann auf drei Rädern, mit einer großen Metallkanne an Bord, von der er über einen kleinen Hahn Milch eingießt in die von den Kunden mitgebrachten Flaschen. Er radelt einige Meter, er stoppt, er teilt Milch aus, er radelt weiter, all das untermalt mit den Takten aus „Für Elise“. Der Mann lächelt freundlich, das Piepsen geht weiter, wie viel Milch muss man wohl verkaufen, bis man „Für Elise“ nicht mehr hört?

Hinter dem Tempel erstreckte sich bis vor Kurzem ein weiterer Palmenhain. Im Juni (der Künstler, der vor mir das Meer hüten durfte, hat es mir erzählt) rammten Bagger die seichtwurzeligen Bäume, jeden einzelnen von ihnen, stießen sie um, die Stämme wurden abgeschleppt, Tage später war keine Spur mehr von den Palmen übrig geblieben. Tabula rasa für eine Touristenbettenburg mit 501 Zimmern, eine geradezu magische Zahl, die einem überall im Dorf entgegenschallt. Der Beach Boy, die Verkäuferin im kleinen Kiosk am Strand, der Surflehrer, der Budenbesitzer, der Barbetreiber, sie alle wissen von den 501 Zimmern in dem großen Hotel. Einer von ihnen rechnet es mir vor, falls ich die ökonomische Bedeutung nicht sofort begriffen haben sollte: Zur Hochsaison sind das 1.002 Touristen! Im besten Fall, wende ich ein. Die Ironie geht in der Verheißung unter.

Die Baustelle schaut so aus wie jede Baustelle, nur dass am Eingang, als ich zum ersten Mal vorbeischlendere, einige Chinesen stehen, in verstaubten Overalls und Schutzhelmen. Das ist keine Seltenheit, die brandneue Autobahn, auf der ich vom Flughafen zum Hotel gelangte, wurde von Chinesen erbaut, ebenso das lotusblumige Kulturzentrum, an dem wir am frühen Morgen vorbeigefahren waren. Bei von ihnen finanzierten Projekten bestehen die Chinesen oft darauf, selbst die Bauarbeiter zu stellen. In unserer Nachbarschaft sind es allerdings nur die Vorarbeiter. Tag und Nacht wird gearbeitet, nachts im Licht greller, gewaltiger Scheinwerfer. Noch bevor ich meinen ersten Sonnenbrand erleiden konnte, war das Fundament schon ausgehoben, zeitgleich mit meinem leichten Sonnenstich erhob sich das Grundgeschoss, und als ich jüngst nach einigen Tagen einer medizinisch bedingten Abwesenheit in das Dorf zurückkehrte, ragten schon die Teile des zweiten Stocks in die Höhe.

Chinesen sind auch im Ayurveda-Resort anwesend, eine Gruppe von Jung-Yogis, ein kleiner Teil jener hunderttausend Touristen, die dieses Jahr laut Zeitungsmeldungen Sri Lanka entdeckt haben. Die Zeitungen sind voller aussichtsvoller Berichte über die Beziehungen zu China, die ehemalige Kolonialmacht England hingegen wird nur in Zusammenhang mit unangenehmen und aus Regierungssicht unangebrachten Vorwürfen erwähnt: hinsichtlich von Massentötungen seitens der Armee am Ende des Bürgerkriegs vor einigen Jahren. Wenn es um Zukunftsplanung geht, um gewaltige infrastrukturelle Projekte, um einen hochmodernen urbanen Komplex am ehemaligen Hafen in der Hauptstadt, wird China bemüht, der chinesische Präsident reist an und die Straßen sind voller roter Fahnen.

Die Autobahn, auf der ich vom Flughafen zum Hotel gelangte, wurde von Chinesen erbaut, wie auch das Kulturzentrum

Mönch und Islamischer Staat

Gegenüber unserer Anlage ist ein Gewürzgarten von beeindruckender und zudem beschrifteter Opulenz. Davor eine Bushaltestelle. Eines Tages sitzt dort im Schatten ein buddhistischer Mönch, der mich heranwinkt. Er fragt, was in solchen Ländern immer zuerst gefragt wird: woher man komme. Dann überrascht er mich. Er habe gehört, die Deutschen seien Pazifisten, das habe ihn als Buddhist erfreut, ob das denn stimme. Zum Glück war das Englisch des Mönchs hervorragend, sonst wäre es mir vielleicht schwer gefallen, den gegenwärtigen gesellschaftlichen Partikularpazifismus zu erklären. Was für Argumente haben die Leute, die für Gewalt sind, fragt er mich. Sie behaupten, wer nicht bereit sei, gegen den Islamischen Staat mit militärischen Mitteln vorzugehen, der sei nicht bei Trost, antworte ich. Auch er möge die Muslime nicht, sagt der Mönch. Aber ob ich denn wüsste, wie viele Luftangriffe die US-amerikanische Armee in den letzten zehn Jahren im Nahen Osten geflogen sei? Ich wusste es nicht. 94.000! Und ob denn nicht allgemein Einvernehmen herrsche, dass die Lage von Angriff zu Angriff schlimmer geworden sei. Ich stimme ihm zu. Aber doch werde behauptet, jetzt müsse gebombt werden, da führe angeblich kein Weg dran vorbei. Der Mönch nickt traurig mit dem Kopf. Wenn die Lage aussichtslos erscheint, sagt er, glauben die Menschen, es gibt keinen anderen Weg außer den falschen. Den Weg der Gewalt.

Und ich dachte: Die Vorstellung, sich aus der Welt zurückziehen zu können, ist wahrlich eine Illusion.