Wenn Sprache Klang wird

AKTUELLE MUSIK Das Festival „Greatest Hits“ widmet seinen Schwerpunkt dem Komponisten Beat Furrer. Der interessiert sich für die Übergänge zwischen Sprechen und Singen

VON ROBERT MATTHIES

Es ist ein fragiler musikalischer Raum, aufgespannt zwischen Bewegung und Stillstand, den Beat Furrer seit rund 30 Jahren auslotet. Unermüdlich erkundet der in der Schweiz geborene und seit Langem in Österreich lebende Komponist und Dirigent die Möglichkeiten der Stimme zwischen Sprechen und Singen, möchte sie von ihrer konventionellen Gestalt befreien, auf ihre Wurzeln zurückführen und zum Ort des musikdramatischen Geschehens selbst machen.

Denn dramatisch denkt Furrer seine Kompositionen schon immer – eine subtile Dramatik allerdings, die sich vor allem in den frühen Werken ganz bewusst zurückhält und in fein ausdifferenzierten Zwischentönen äußert. „Erzählung in die Tiefe“ nennt der 59-Jährige den komplex verschachtelten Erfahrungsraum, in dem er die Stimme als Verhältnis von Klang und Sprache erforscht. Außerdem untersucht er die Stimme als Trägerin von Empfindungen und einem oft in kleinste Bestandteile zerlegten Sprechen.

„Wüstenbuch“ heißt das Musiktheater, in dem Furrer diese „Sprachfindung“ auf der Basis von Texten Ingeborg Bachmanns, Antonio Machados, Lucretius’ und einem altägyptischen Papyrus beeindruckend vielschichtig ausgeformt hat. Es handelt sich um ein „Drama ohne Handlung“, in dem die Wüste zur geschichtsträchtigen Fläche wird, auf die Furrer Assoziationen zu Fremdheit, Einsamkeit und Tod projiziert. Es ist ein faszinierendes Nebeneinander von Fragmentarischem und Unausgesprochenem, das entlang der Klangwerdung von Sprache entworfen wird.

Klingt nach esoterischer und verkopfter Musik für Eingeweihte? Ist es aber keineswegs. Einlassen muss man sich natürlich auf die oft konzentrierte Stille, in der Furrer jeden Klang wie unter einem Mikroskop auf seine Schattierungen, seine Wirkung im Raum und im musikalischen Kontext abtastet. Vorkenntnisse aber braucht dafür niemand – am Herzen liegt Furrer schon immer eine ungezwungene „Selbstverständlichkeit im Umgang mit Neuer Musik“.

Konsequent also, dass die zweite Ausgabe des Hamburger Festivals „Greatest Hits“ seinen diesjährigen Schwerpunkt Furrer widmet, der für seinen „unverwechselbaren Stil“ im April mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet wurde. Denn der Titel „Greatest Hits“ soll ganz bewusst eine „kleine Frechheit“ sein: präsentiert das Festival doch vier Tage lang alles andere als verkaufs–trächtige Hymnen und Melodien zum Mitsummen.

Geboten wird zeitgenössische klassische und Neue Musik, der eben immer noch hartnäckig der Ruf anhängt, schwer genieß- und entsprechend schwer vermittelbar zu sein. Bis zum kommenden Sonntag sollen rund 20 Veranstaltungen Berührungsängste abbauen und zeitgenössische Musik einem breiteren Publikum näherbringen.

Furrer sind dabei zwei Abende gewidmet, die sich dem „Weg vom Sprechen zum Singen“ widmen. Zum Auftakt am Mittwochabend bringt das von Furrer gegründete renommierte Klangforum Wien unter anderem zwei seiner Kompositionen zur Aufführung: In „ira – arca“ für Bassflöte und Kontrabass verschränken sich ein- und ausatmende Teile zu Melodien, im „Konzert für Klavier und Ensemble“ wiederum vereinigen sich die Stimmen aller Orchesterinstrumente zu einem beunruhigenden Wispern.

Am Donnerstagabend trifft Furrer dann als Dirigent auf das Hamburger Ensemble Resonanz. Zu hören gibt es neben Georg Friedrich Haas’ „Open Spaces II“ und Dieter Ammanns „stellen“ mit „Xenos III“ und „Time out 2“ zwei aktuelle Kompositionen Furrers.

■ Mi, 12. 11. bis Sa, 15. 11., Kampnagel; Programm: greatest-hits-hamburg.de