DAS DING, DAS KOMMT
: Wider die Schlafwandler

Keine BÜCHSE DER PANDORA setzte den Ersten Weltkrieg in Gang, sagt der Historiker Jörn Leonhard – und kriegt dafür jetzt einen Preis

Wer war es noch, der sie öffnete – Pandora selbst oder jemand anderes? Der griechisch-antiken Überlieferung zufolge gab jedenfalls der Gott Zeus den Menschen die Büchse – mit der Maßgabe, sie auf keinen Fall zu öffnen. Ganz ähnlich der Anweisung des christlichen Gottes an Adam und Eva, im Garten Eden nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen.

Hier wie dort übertraten die Menschen die Verbote selbstverständlich, mit den bekannten Folgen: Die Christen mussten schuften und wurden von Schlangen in die Fersen gebissen. Aus der Büchse der Pandora wiederum entwichen Unmoral, Krankheit, Gewalt. Und das mit deprimierender Zwangsläufigkeit: War die Dose erst einmal offen, mehrte sich das Böse stetig.

Dass derart zwangsläufig etwa auch der Erste Weltkrieg ausgebrochen sei, widerlegt der Historiker Jörn Leonhard in seinem neuen Buch mit dem Titel „Die Büchse der Pandora“ (Verlag C. H. Beck 2014, 1.157 S., 38 Euro) für das er am kommenden Mittwoch in Hannover den NDR-Kultur-Sachbuchpreis bekommt (wer nicht selbst im Herrenhäuser Schloss, dabei sein kann: Ab 19 Uhr übertragen der Radiosender wie auch ndr.de/kultur die Preisverleihung).

Geht es nach dem Historiker an der Uni Freiburg, waren die 22 Kriegseintritte, die der Kriegserklärung Deutschlands an Russland am 1. August 1914 folgten, nicht unvermeidlich. Immerhin hatte Europa auch die vorangegangenen Balkankrisen ohne globalen Krieg bewältigt. Warum also nicht auch den Juli 1914?

Um das zu ergründen, analysiert Leonhard politische Entscheidungsstrukturen, die Entwicklung der Militärtechnik, die Entgrenzung des Krieges in jeder Hinsicht. Und kommt zu dem Schluss, dass das politisch nicht kontrollierte deutsche Militär zum Kriegsausbruch wesentlich beigetragen habe.

Das gern genutzte Argument des In-den-Krieg-Hineinschlitterns trägt Leonhard zufolge nicht. Das belegt er, indem er sehr genau jene Momente und Personen untersucht, die hätten deeskalieren können, es aber unterließen. „Die Akteure des Sommers 1914 waren keine Schlafwandler“, sagt er in Anspielung auf Christopher Clarks letztjährigen Erster-Weltkriegs-Bestseller „Die Schlafwandler“ – sie hätten genau gewusst, was sie taten.  PS