Nicht Jäger. Nur Sammler

RECHT Frank H. hortet über Jahre Pistolen, Gewehre und Schnellfeuerwaffen in seiner Zweizimmerwohnung. Doch das Bedürfnis, zu schießen, hat er nicht. Jetzt sitzt er für drei Jahre und sechs Monate im Gefängnis

Die Liste der 57 Waffen, die Frank H. in seiner Zweizimmerwohnung in Kreuzberg aufbewahrte: Sturmgewehr AK-47. Vorderseite-Repetierflinte mit Pistolengriff, Mossberg. Maschinenpistole Thompson. Pistole Norconia Germany, NC 226. Pistole IM-Metall, HS 95, Luger. Umgebaute Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalpistole mit Schalldämpfer, Simbatec. Pistole Norinco mit Schalldämpfer, NP 34. Pistole Ingram USA, 1110A1. Pistole Industria Argentinien, Ballester. Pistole Sig Sauer, 8220. Pistole Mauser, C96. Pistole SRS, Valtro, 85 Combat. Pistole Sig Sauer, P6. Pistole IMI, Jericho 941F. Pistole LEP-Umbau, Walther, P1. SRS-Pistole, Umarex, GPDA8. Pistole Ceska Zbrogovka, 1922. SRS-Pistole, Röhm, R6. SRS-Pistole, Rhöner, S. 11.12. SRS-Pistole, Umarex, Walther PPK. Pistole, Hege, AP 66. Pistole, IWC/Enser Sportwaffe, Government. Pistole, Rhöner, S.11.12. SRS-Pistole, Rhöner, S.11.12. Pistole mit Schalldämpfer, Manurhin, PP. Pistole FEG, PA63. LEP-Pistole, Hege, AP 66. SRS-Pistole, Cuno Melcher, ME 69 Springfield. LEP-Pistole, Norinco, Modell NC226. Pistole mit Schalldämpfer, Walther, PPK. Pistole Colt, Combat Commander. Pistole verändert (Lauf durchgängig aufgebohrt), Ceska, 75B. SRS-Pistole, Umarex, GP DA 9. Pistole verändert, Ceska, 75 Kadett. SRS-Pistole, Valtro/Cuno Melcher, 85 Combat. SRS-Pistole, Walther, PPK. Pistole, +N, 1900. Revolver Rossi, 872. Vorderlader-Revolver, Italien, Navy 1851. Vorderlader-Revolver umgebaut, Italien, Navy 1851. Vorderlader-Revolver, Euroarms. Vorderlader-Revolver umgebaut, New Army. Doppelflinte, Schrotpistole (Lauf abgesägt), MAC Frankreich. PTB-Revolver, Hege-Uberti, Army 1873. Revolver Weihrauch, HW 4/4. SRS-Pistole, Röhm, Noris Twinny. SRS-Pistole, Röhm, Noris Twinny. SRS-Pistole, Röhm, „little Joe“. Revolver Smith & Wesson. Revolver „UdssR“, Naganz. Selbstladegewehr mit Zielfernrohr, Winchester, 190. Selbstladegewehr mit Zielfernrohr und Schalldämpfer, Marlin, 795. Selbstladebüchse Underwood, 30111 carbine. Repetierbüchse Fabrien den Aunas, „La Corinna“, 98/43. Repetierbüchse, Großbritannien, No 5 11 kl. Selbstladebüchse mit Schalldämpfer und Zielfernrohr, Erma, EM1. Repetierbüchse Unterhebel, PTB-Waffe, Erma, EG 294.

Und: Fünf Schießkugelschreiber, Modell SG67E, davon vier funktionsfähig. 22.375 Schuss Munition.

VON JUSTUS WILHELM

Die Nacht vor seinem Haftantritt verbringt Frank H. in der Kanzlei seines Anwalts. In zehn Stunden muss er ins Gefängnis. Drei Jahre und sechs Monate lautet das Urteil. Er möchte noch ein letztes Mal seine Geschichte erzählen. Seine Besessenheit erklären. Die Leidenschaft begreiflich machen, die ihn alles gekostet hat. Seine Freundschaften, seine Beziehung und seine Freiheit.

Das Büro von Strafverteidiger Alois Ludwig Fleck ist keines der Sorte, wie man es ein paar Straßen weiter am Kurfürstendamm findet. Keine repräsentativen Treppenaufgänge. Kein Stuck. Keine hohen Decken. Stattdessen Gartenhaus, Erdgeschoss und Zweckeinrichtung. Er vertritt Dealer, Vergewaltiger und Messerstecher. Und Frank H., den „irren Waffennarr aus Kreuzberg“, wie ihn die BZ nannte. „Bei ihm muss ich mir keine Sorgen machen, dass er nachts bei mir auf der Matte steht und mich umnieten will, wenn ihm das Ergebnis meiner Arbeit nicht gefällt“, sagt Alois Fleck. „Der ist wenigstens harmlos.“

Im Oktober 2010 stürmt ein Sondereinsatzkommando der Polizei in Berlin-Kreuzberg die Zweizimmerwohnung von Frank H. Die Beamten sind seit Monaten einem Waffenschieberring auf der Spur. Auch Frank H. hatte Kontakt zu den Hehlern. Er hat bei ihnen zwei Pistolen gekauft. Eine Tangfoglio TA90 Kaliber 9 mm und eine Walther PPK Kaliber .22 Long Rifle. Diese wollen die Beamten sicherstellen.

Was die Polizisten aber in Frank Hs. Zweizimmerwohnung finden, erweist sich als einer der größten Waffenfunde der Berliner Kriminalgeschichte. 57 funktionsfähige, scharfe Schusswaffen, darunter Sturmgewehre, Maschinenpistolen und halbautomatische Kurzwaffen. Außerdem eine Stahlrute, fünf Schießkugelschreiber und 22.375 Schuss Patronenmunition.

Als Alois Fleck seinen Mandanten zum ersten Mal sieht, steht Frank H. gerade vor dem Haftrichter und belehrt den Juristen über den Weltfrieden und die Schlechtheit der Dinge. Für jemanden, der gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen hat, ist Frank H. ein erstaunlich moralischer Mensch. Auch dem Haftrichter wird schnell klar, dass Frank H. kein Terrorist oder Waffenhändler ist. Nur ein nahezu krankhaft begeisterter Sammler von mechanisch präzisen Gegenständen. Von Uhren, Modellautos und Waffen. Als der Haftrichter Haftverschonung anordnet, bricht in den Medien Entrüstung los. „Gegen wen wollte der denn in den Krieg ziehen?“, titelt der Berliner Kurier. „Waffennarr!“ Das ist der Kampfbegriff, unter dem der Boulevard gegen Frank H. in Stellung geht. Der Haftrichter rudert zurück und ordnet die sofortige Unterbringung in U-Haft an.

In der Nacht vor seiner Inhaftierung sprudelt es nur so aus Frank H. heraus. Er spricht immer wieder über seine Kindheit.

Frank H. wird 1961 in Kreuzberg geboren. Walter Ulbricht ist kurz davor, Berlin für die nächsten 29 Jahre einzumauern. Kreuzberg ist immer noch schwer gezeichnet vom Krieg. Es gibt keine junge Subkultur, keine Musikkneipen und keinen Latte macchiato. Dafür Kohlenkeller und zerbombte Hinterhöfe. Hier wächst Frank H. als letztes Kind einer unverheirateten Mutter auf. Wegen ihrer „wilden Ehe“ wird Frank H. seiner Mutter mit fünf Jahren weggenommen und in ein Kinderheim eingewiesen. Alleinerziehende Mütter sind in der Moral der 60er Jahre nicht vorgesehen. Es ist das erste Mal, dass er die amtliche Moral als etwas Fremdes und Bedrohliches erlebt. Um ihren Sohn wiederzubekommen, heiratet seine Mutter einen Kriegsveteranen. Einen Leuteschinder, der seinen Stiefsohn – kaum aus dem Kinderheim zurück – täglich zentnerweise Kohle schleppen lässt. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Das hört Frank H. immer wieder. „Mit meinen Knochen hab ich mir alles erarbeitet! Und dieser Nazi hat mich rangenommen, dass es quietscht“, sagt er heute. Zu Hause zeigt der Stiefvater Bilder aus dem Russlandfeldzug. Es sind Bilder von Erschießungen und Massengräbern. Bilder, auf die man nicht stolz sein kann. Der Stiefvater ist es aber. Und er bringt immer wieder Waffen mit nach Hause.

Mit 12 Jahren bekommt Frank H. seine erste eigene Waffe. Er ist fasziniert von der technischen Vollkommenheit der Waffe. Sie repräsentiert eine Zuverlässigkeit, eine Präzision, die es in der Welt um ihn herum nicht gibt. Er sehnt sich nach Ordnung, nach Strukturen, die funktionieren – ohne ihm etwas abzuverlangen. Er bewundert die Akribie der Ingenieure, die Schönheit einer perfekt geschmierten Pistole. Und er verachtet die Menschen, die diese Wunderwerke für ihre niederen Triebe missbrauchen. Den Stiefvater, der sich mit seinen Kriegserfahrungen brüstet. Und all jene, die diese Wunderwerke mechanischer Genauigkeit für all das Gräuel benutzen, das in der Welt geschieht. Die Waffe ist unschuldig. Erst der Mensch macht sie schuldig. Deswegen kommt Frank H. zu dem Schluss, dass die Waffe nur bei ihm, unter Verschluss, das sein kann, was sie eigentlich ist. Das Sinnbild einer besseren Welt. Einer Welt, die logisch, mechanisch und gerecht ist.

Frank H. konstruiert sich ein Wertesystem, das mit der Welt da draußen nichts mehr zu tun hat. Die Moral der Menschen außerhalb seiner kleinen Welt hat für ihn keinen Wert mehr. Für ihn ist es eine perverse Moral. Es ist eine Moral, die ihn ins Kinderheim geschickt hat und stolz auf Gräueltaten ist. Deswegen hat er es bis zu seiner Verhaftung nicht als Unrecht empfinden können, gegen Gesetzte zu verstoßen. Weil Gesetzte ohnehin Teil einer degenerierten Welt sind, vor der er die Prachtstücke seiner Sammlung schützen muss.

„Nicht die Waffe ist die Bestie, sondern der Mensch. Verstehen Sie das?“

FRANK H.

Am Tag der Verhaftung von Frank H. ist Strafverteidiger Alois Ludwig Fleck im Landgericht Moabit. Es ist schon spät, als der Haftrichter ihn bittet, die Verteidigung zu übernehmen. Auf eine verrückte Art passen diese beiden Männer zueinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der eine Strafverteidiger, stolzer Besitzer eines Audis mit beeindruckender PS-Zahl und passionierter Sportschütze. Der andere seit sechs Jahren arbeitslos, schwer zuckerkrank und pathologischer Sammler von Waffen und Munition. Wenn sich beide die Ermittlungsfotos der Waffensammlung anschauen, kommen sie schnell ins Fachsimpeln. Alois Ludwig Fleck ist für Frank H. mehr als ein Rechtsvertreter. Er ist sein Übersetzer. Derjenige, der seine autistische Art in eine Sprache übersetzen kann, die ein Außenstehender versteht. „Frank, du wurdest gefragt, wo du die Waffen gekauft hast, da musst du jetzt nicht über den Atomkrieg reden!“, ermahnt Alois Fleck seinen Mandanten, als dieser auf eine einfache Frage mit einer gewaltigen Worteruption über die Verkommenheit der Menschheit antwortet. Es ist schwierig, zu Frank H. durchzudringen. Seine Gedanken scheinen hermetisch. So hermetisch wie seine Wohnung, in der er sich Jahre lang verbarrikadiert hat. Niemanden hat er dort hineingelassen. Niemandem hat er erzählt, was er dort versteckt hält. Nicht seiner Familie, nicht seinen Freunden und nicht seiner Lebensgefährtin. Seine Beziehung leidet unter den nie beantworteten Fragen, was er dort in seiner Wohnung täte. Eines Tages hält seine Lebensgefährtin die Ungewissheit nicht mehr aus. Sie verlässt ihn. „Wenn Sie Waffen sammeln, werden Sie irgendwann sehr einsam“, sagt Frank H. resigniert. „Das ist wie mit dem Rauchen. Sie wissen, dass die Scheiße sie kaputtmacht, aber sie können nicht aufhören. Das ist Sucht.“

Frank H. wusste, wie gefährlich seine Waffen in den falschen Händen sein könnten. Deshalb hat er sie von allen ferngehalten. Auch vor den Menschen, die ihm nahestanden. „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.“ Das ist eine seiner Grundüberzeugungen. Eine seiner größten Sorgen war immer, dass bei ihm eingebrochen werden könnte. Dass jemand Grauenhaftes mit seiner Sammlung anstellen würde. „Nicht die Waffe ist die Bestie, sondern der Mensch – verstehen Sie das?“, sagt er. Frank H. hat seine Wohnung des- halb verbarrikadiert. Die meisten Waffen bewahrte er in Stahlschränken und abschließbaren Koffern auf – meistens in auseinandergebautem Zustand, so dass niemand sie einfach benutzen konnte. Sein Anwalt wird später vor Gericht argumentieren, dass dieser Umgang mit Schusswaffen nahezu verantwortungsvoll war.

Als Frank H. erfährt, dass er schwer zuckerkrank ist und nicht mehr lange zu leben hat, gerät er in Panik. Die Vorstellung, irgendein Erbe oder Entrümpler könnte seine Sammlung in die Finger kriegen, raubt ihm den Schlaf. Aber wohin mit den Waffen? Zu den verhassten Behörden, die ihm nichts als Kummer eingebracht haben und die er verachtet. Nein, der Polizei kann er nicht vertrauen. Die Ereignisse holen Frank H. ein und nehmen ihm die Entscheidung ab.

In der Nacht vor seinem Haftantritt sagt Frank H. in der Kanzlei, dass ihm eine enorme Last von der Seele gefallen sei. Seine Lebensgefährtin sitzt hinter ihm. Sie ist zurückgekommen. Nun, wo die Lügen ein Ende haben und sie versteht, was all die Jahre gewesen ist.