Frauen an Bord

Zwei Nautikstudentinnen mehrere Monate beim Praktikum auf See begleitet: Das Filmfest Emden-Norderney zeigt mit „Seemannsbräute“ von Anja Flade und Solveig Willkommen eine gelungene Dokumentation über den Geschlechterkampf in der zeitgenössischen Seefahrt

Die Geschichten von den Dreharbeiten sind mindestens so interessant wie jene, die im Film selbst erzählt werden

von Wilfried Hippen

Der Filmtitel führt in die Irre: die Protagonistinnen Dorte und Julia sind gar keine Bräute, deren Männer der See trotzten. Stattdessen ist genau dies ihr Job: „Seefrauen“ oder „Seebräute“ wäre also passender gewesen. Aber die beiden Regisseurinnen Anja Flade und Solveig Willkommen wollten mit diesem Titel bewusst stutzig machen. Denn es ist ja kein Zufall, dass die deutsche Sprache für Frauen auf See – noch – keine Worte hat: „Matrosin“, „Lotsin“, gar „Kapitänin“? Was nicht ist, vielleicht nicht sein darf, darf auch nicht benannt sein.

Selbst in der Seefahrt ändern sich indes die Zeiten. Und so gibt es inzwischen auch Nautikstudentinnen, und diese müssen wohl oder übel ein halbjähriges Praktikum auf hoher See ableisten. Genau das tun Dorte und Julia, zwei junge, aufgeweckte Frauen. Und der Dokumentarfilm zeigt nichts anderes, als wie es ihnen in ihrem halben Jahr auf dem Frachtschiff „Marion Green“ ergeht. Dabei müssen sie lernen mit den anderen Besatzungsmitgliedern fertig zu werden – sowohl mit ihren Animositäten wie auch ihren Begehrlichkeiten fertig zu werden.

Schon bevor die beiden Frauen an Bord sind, äußert der Kapitän seine Bedenken, sie könnten seine Mannschaft in „hirnverbrannte Matrosen“ und „Hormonmonster“ verwandeln. Und tatsächlich: In den Szenen vom Beginn der Reise ist die äußerst aufgeladene Spannung zwischen den Frauen und ihren Kollegen spürbar. Die beiden merken schnell, dass eine kurzärmelige Bluse schon aufreizend wirken kann und sind sie für den Rest des Films meist in unförmigen Blaumännern zu sehen. Julia lässt sich sogar die langen Haare abschneiden, um mit Bubikopf möglichst geschlechtsneutral zu wirken.

Drei von den sechs Monaten hat das Team der beiden Filmemacherinnen die beiden standhaften Frauen auf See begleitet. Der Witz dabei bestand darin, dass sie selbst ja als Frauen an Bord ebenfalls die Erfahrung machten, wie es ist, „24 Stunden am Tag das männliche Interesse in sexueller Hinsicht zu wecken“, wie es die Filmemacherin Solveig Willkommen sagt. Da sei auch schon mal einer Tontechnikerin nachgestiegen geworden. Überhaupt sind die Geschichten von den Dreharbeiten vielleicht mindestens genauso interessant wie jene, die im Film selbst erzählt werden.

Die beiden Filmemacherinnen haben Dramaturgie an der Filmhochschule „Konrad Wolf“ in Babelsberg studiert – und da ist es ja schon ein wenig überraschend, wenn ihr Debüt ein Dokumentarfilm ist. Denn darin wird die Dramaturgie den Filmemachern ja eher durch die Realität aufgezwungen – und die Kunst liegt darin, die Ausgangsposition so fruchtbar zu gestalten, dass die Wahrscheinlichkeit von spannenden Entwicklungen groß ist.

Mit der eher behütet aufgewachsenen Julia und der viel robuster wirkenden Dorte fanden sie zwei sehr unterschiedliche Protagonistinnen, und tatsächlich entwickelten sich beide jeweils in ganz eigene Richtungen. Eine wurde zum Liebling des Kapitäns, die andere fühlte sich isoliert. Die eine verliebte sich unglücklich an Bord, die andere bekam Hautausschlag, die eine litt unter schlimmem Heimweh, die andere wurde immer sicherer in ihrer Arbeit und im Umgang mit den Kollegen.

Die Zeit schrieb hier wohl eine bessere, überraschendere und komplexere Dramaturgie, als ein Drehbuchautor es hingekriegt hätte. Nicht zuletzt aber hatten die Filmemacherinnen auch noch „das Glück, das man bei Dokumentarfilmen einfach braucht“, sagt Anja Flade. Denn gegen Ende der halbjährigen Reise begann noch einer der wenigen weiblichen Ersten Offiziere die Arbeit an Bord, sodass auch noch gezeigt werden konnte, wie eine Frau in leitender Position an einem Schiff arbeitet. Abgehärtet muss sie sein, denn „auf jedem Schiff musste sie wieder Spießrutenlaufen und alles 200 Prozent richtig machen, um anerkannt zu werden“, sagt Flade. Und führt weiter aus, dass es inzwischen auch schon weibliche Kapitäne gibt, und diese sind dann „entweder die besseren Männer oder sie regieren im Mutti-Stil“.

Drei Monate lang – den ersten, einen mittleren und den letzten Monat – war das Filmteam mit an Bord, und merklich selbstverständlicher bewegten sich die Besatzungsmitglieder vor der Kamera. Die beiden Protagonistinnen bekamen auch Digitalkameras, mit denen sie Videotagebücher aufnahmen. Von diesem Material ist nur wenig im Film zu sehen – und ein paar Mal waren die Momente wichtiger als die Qualität der Bilder.

Davon abgesehen ist „Seemannsbräute“ eben auch: ein gut fotografierter Film. Er fängt die Stimmung solcher Seereise – die für die an Bord Arbeitenden freilich keine Vergnügung ist – eindrucksvoll ein: das Eintönige, den ewigen Lärm, das ständige Schwanken. Und die Unterscheide zwischen der zumeist philippinischen Mannschaft und den deutschen Offizieren, die in den Aufnahmen von einer Weihnachtsfreier auf den Punkt gebracht werden: In gebrochenem Englisch singen drei Filipinos doch mit Inbrunst „Stille Nacht“, während die Deutschen schweigend und mit gesäuertem Gesicht daneben am Tisch sitzen.

Warum Dorte und Julia – die beide auch weiterhin Nautik studieren – sich so etwas freiwillig antun wollen, bleibt eines der Geheimnisse dieses Films. Der ganz nebenbei auch mit den letzten romantischen Vorstellungen von der christlichen Seefahrt aufräumt.

„Seemannsbräute“ läuft am Samstag um 16.30 und am Montag um 19 Uhr in Emden sowie am Sonntag um 16.30 Uhr in Norderney. Alles zum heute beginnenden Filmfestival Emden-Norderney auf http://filmfest.icserver13.de