BERLIN IM AUFBAU
: Licht ins Dunkel

„Hier sieht man fast nix mehr“, teilt er den um ihn Herumstehenden mit

Der Experte hat einen Bart, ein Messgerät und keine Hemmungen, sich coram publico auf dem Boden zu werfen.

So liegt er in der AGB zwischen den Regalen, richtet sein Messgerät auf das unterste Regalbrett der DVDs mit Autorenfilmen und liest die Watt-Zahlen ab. Die sind vernichtend. „Hier sieht man fast nix mehr“, teilt er einem knappen Dutzend von Personen mit, die um ihn herumstehen und wahrscheinlich AGB-Bibliothekare sind. Und daher in Ausübung ihres Amtes ein Interesse an den Beleuchtungsverhältnissen ihres Arbeitsplatzes haben müssen.

Dass das Problem mit den niedrigen Watt-Zahlen gelöst werden muss, darüber scheint allgemeine Einigkeit zu herrschen. Vielleicht kann man ja unter der Decke noch Spots anbringen, so denkt man laut nach. Schließlich muss man auch die Signaturen der DVDs von Regisseuren, deren Nachnamen mit „Su“ beginnen, lesen können.

So kann Berliner Stadtverwaltung auch gehen. Die Bebauung der Tempelhofer Felds wurde von den Bürgern abgelehnt, weil sie ihrer Landesregierung nicht zutrauen, diese erfolgreich durchzuführen. Die Sache mit dem Flughafen – das kriegt sowieso keiner mehr hin. Vom Hauptbahnhof der Metropole tuckert man mit ewig verspäteten Bussen in die verschiedenen Stadtteile, weil der U-Bahnanschluss erst 2020 fertig wird. Stadtteil-Bibliotheken und Armen-Krankenstationen werden geschlossen. Und wenn irgendwo der Bürgersteig kaputt ist, hängt man ein Schild hin, auf dem „Vorsicht Gehweg-Schäden“ steht. Manche dieser Schilder kenne ich seit zwanzig Jahren.

Doch in der AGB werden selbst Bedenken über fehlende Watt-Zahlen mit einem preußischen Pflichtbewusstsein zur Kenntnis genommen und dann – so steht zu erwarten – abgestellt. Das mag ironisch klingen, ist aber wirklich nicht so gemeint.TILMAN BAUMGÄRTEL