Zu viel Stoff, zu wenig Zeit

Studierende der Uni Oldenburg beklagen hohe Arbeitsbelastung im neuen Bachelor-System. Die Hochschule mag im stärker verschulten Studium viele Vorteile entdecken: Früher seien gerade Langzeitstudierende „schmählich in Stich gelassen worden“

29 europäische Staaten haben sich 1999 in Bologna darauf verständigt, bis 2010 einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Für Deutschland bedeutete das eine Umstellung der traditionellen Diplomstudiengänge auf das in angelsächsischen Ländern übliche gestufte Bachelor-Master-System. Statt nach zehn Semestern bekommen Studierende schon nach sechs Semestern mit dem Bachelor einen ersten akademischen Abschluss, der berufsqualifizierend sein soll. Auf diese Weise sollte den hohen Studienabbrecherquoten abgeholfen werden. Lange strittig war die Frage, ob der Übergang zum vertiefenden Master-Studium automatisch erfolgt oder Studierende sich dafür ganz neu bewerben müssen. In Hamburg gibt es derzeit Zwist zwischen Uni und Senat, weil die Finanzen nur für eine 40-prozentige Übergangsquote ausreichen, also nicht einmal jeder zweite Bachelor-Absolvent auch auf Master weiterstudieren kann.  KAJ

VON KAIJA KUTTER

Zumindest in Niedersachsen war die Universität Oldenburg Vorreiter: Vor drei Jahren sattelte sie an allen fünf Fakultäten ihrer rund 11.000 Studierende umfassende Hochschule auf das zweigeteilte Bachelor-Master-System nach angelsächsischem Vorbild um. Bislang geschah das offenbar einigermaßen reibungslos. Doch inzwischen mehren sich die Klagen von Studierenden, das Studium sei sehr verschult und schwer zu schaffen.

Das sagt etwa Ina Kleinmüller*, die im zweiten Semester Sozialwissenschaften studiert. Von den 450 Kommilitonen zu Studienbeginn seien schon „sehr viele abgesprungen“. Bei einer Prüfung am Ende des Semesters seien dann im ersten Durchlauf 36 Prozent und beim zweiten Versuch davon noch mal wiederum 78 Prozent durchgefallen.

Ein Bachelor-Studium ist mit den alten Diplomstudiengängen nicht zu vergleichen. Es gibt nicht mehr die große Prüfung am Ende, stattdessen müssen während des Studiums viele kleine Prüfungen abgelegt werden, für die es „Creditpunkte“ gibt. Mit 180 dieser Punkte gilt das Studium als bestanden. Für Ina Kleinmüller und ihre Kommilitonin Svantje Drexler* bedeutet das: Dauerdruck.

„Das Studium ist zu voll gepackt“, sagt Dexler. Ursprünglich geplant seien 900 Arbeitsstunden pro Studienhalbjahr, was auf eine 40-Stunden-Woche hinausliefe. Da jedoch in der Regel als Prüfungsleistungen Klausuren und Referate statt Hausarbeiten verlangt würden, „staut sich die ganze Belastung in den 14 Wochen Vorlesungszeit“. Statt 40 Stunden werden so schnell 60 Stunden nötig, um die Punkte zu schaffen. Besonders ärgerlich sei, dass ein Dozent erst mitten im Semester bekannt gab, dass statt einer Hausarbeit nur eine Klausur verlangt würde. „Da“, sagt Drexler, „hatten viele mit der Arbeit schon begonnen.“

„Ich habe im Prinzip eine 7-Tage-Woche“, ergänzt Kleinmüller. „Da bleibt kaum Zeit zu arbeiten, um meine Studiengebühren zu finanzieren.“ Insgesamt muss sie sechs Seminare und sechs Vorlesungen im Umfang von 26 Semesterwochenstunden belegen. „Für jede dieser Veranstaltungen muss ich vorher Texte lesen und durcharbeiten, die sind zwischen fünf und 45 Seiten dick“. Fürs Jobben bleibe da nur noch der Samstag, der Sonntag sei schon wieder für Lektüre verplant. „Nur leider habe ich zu wenig Zeit, den Stoff auch zu verstehen“, sagt die Studentin, die nicht mit richtigem Namen genannt werden will. Sie lerne „nur, um es auswendig zu wissen“.

Der Sprecher der Uni Oldenburg, Gerhard Harms, räumt ein, dass das Studium verschulter ist als früher. „Die Zeiten, wo man es locker angehen lassen kann, sind mit dem Bachelor-System vorbei“, sagt er. Doch 80 Prozent der früheren Studierenden wünschten eine „verbindlichere Form“, so Harms. „Für eine kleine Gruppe von Studierenden, die hoch motiviert sind, ist es schade, in so ein enges Korsett gebunden zu sein. Aber sicherlich nicht für die Masse.“ Der „erfolgsorientierte Stress“ werde zwar größer, aber dafür seien früher viele Langzeitstudierende von den Unis „schmählich in Stich gelassen worden“.

Ob die ganze Reform erfolgreich war, werde sich im Herbst zeigen, wenn der erste vor drei Jahren gestartete Bachelor-Jahrgang abschließt. Von der so genannten „Studienerfolgequote“ hänge zu einem kleinen Teil schließlich auch die Finanzierung der Hochschule ab.

„Gerade in den Sozialwissenschaften ist das Studium festgelegter und verschulter“, räumt Gerhard Lotze von der Oldenburger Studienberatung ein. Andere Studierende, etwa aus den Naturwissenschaften, seien dies gewöhnt und „klagen weniger“.

Auch Lotze berichtet, dass von den 450 Studienanfängern des jetzigen zweiten Semesters schon „viele abgebrochen“ haben, und führt dies auf eine „kritische Gemengelage“ zurück. „Weil wir im letzten Jahr keine Zulassungsbeschränkung hatten, haben sich auf 100 Plätze über 400 angemeldet“, berichtet er. „Das hat die Situation noch mal verschärft und dazu geführt, dass Lehrende Prüfungen standardisieren.“ Hinzu kämen vage Berufsaussichten und ein eher schmales Lehrangebot. Lotze: „Man muss die Module nehmen, die angeboten werden, um auf seine 30 Kreditpunkte zu kommen.“

Nicht nur in Oldenburg, auch an der Uni Hamburg, die erst jetzt das Bachelor-Master-System flächendeckend einführt, wird die von privaten Akkreditierungsagenturen überwachte Umstellung kritisiert. „Bei uns haben die Vorgaben zu einer Verdoppelung der bisherigen Lehrveranstaltungen geführt“, sagt der Hamburger Politikprofessor Hans-Jörg Kleinsteuber. Das Studium sei strenger und formalisierter, vielfach gehe es um die Abfrage „codierten Wissens“. Mit dem Bachelor sei die Fachhochschule ins Curriculum der deutschen Universitäten eingezogen. „Die Oldenburger Studenten“, sagt Kleinsteuber, „haben mit ihrer Kritik völlig Recht.“

*Name geändert