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Visitenkarte mit Spitzen

ZÄUNE Sie sind aus Holz, Aluminium oder Stahl. Sie dienen der Sicherheit und der Selbstdarstellung ihrer Besitzer. Eine kleine Zaunkunde

Redensarten

■ „Etwas vom Zaun brechen“ bedeutete früher „etwas ohne Mühe beschaffen können“. Da es Zäune reichlich gab, gab es auch keinen Mangel an Stöcken oder Latten. Auch die heutige Bedeutung „etwas mutwillig herausfordern“ lässt sich darauf zurückführen und erhält den Hinweis auf buchstäblich schlagende Argumente.

■ „Einen Wink mit dem Zaunpfahl“ sagte man ursprünglich, um eine Tracht Prügel anzudrohen.

■ „Liebe deinen Nachbarn, doch behalte deinen Zaun“ ist ein altes Sprichwort, wohl walisischen Ursprungs. Heute wird es gerne von Zaunherstellern als Werbespruch benutzt.

VON IMRE BALZER

Incubus“ wird als „schlicht und modern“ beschrieben, das Design als „klassisch und geradeaus“, die Doppelverzinkung ist „hochwertig im Tauchbadverfahren“ erstellt. Im Pauschalpreis sind fünf verschiedene Spitzen erhältlich. „Fractus“ hingegen kommt ohne Spitzen aus. Er „vereint das Moderne und das Klassische auf sehr elegante Weise“. „Nimbus“ geht noch weiter: Er „verändert den gesamten Look einer Immobilie und verhilft dem Grundstück zu einem besonders edlen Gesamtbild.“ Die Rede ist von Zäunen, Kataloglyrik, die das wehrhaft abgrenzende der Produkte mühsam verbrämt.

„Incubus“, „Fractus“ und „Nimbus“ finden sich im Angebot von TRAUMZAUN24.de, einer Firma aus Berlin, die sich auf Zaun- und Torsysteme spezialisiert hat. Der einfache Jägerzaun – solide Zaunlatten, gefertigt aus heimischen Holzarten – hat schon lange ausgedient. Möchte man sein Haus oder Garten effektiv vor Menschen und Tieren schützen, muss es schon etwas Edleres sein, denn Zaun und Pforte gelten unter Architekten, Zaunherstellern und Hausbesitzern als „die Visitenkarte des Hauses“.

Hightech ist gefragt, wenn es um die Sicherung eines Grundstückes geht. Die Mauer zwischen Ost und West ist gefallen. Der Zaun zwischen Schrebergarten und Einfamilienhaus steht noch. Welche Bedeutung haben Grenzen und Zäune in unserer als durchlässig und schrankenlos gepriesenen Gesellschaft?

Genau wie die ehemalige Mauer um die DDR oder der Zaun zwischen Mexiko und den USA unterteilen Grenzen jeden Raum in zwei Teile: ein Diesseits und ein Jenseits. Egal ob es um ein Gefängnis, das Zoogehege oder Staaten geht, diese Unterscheidung ist zentral, denn damit verbunden sind spezifische Ordnungssysteme, die im jeweiligen Teil gelten. Der klassische Nachbarschaftsstreit um Grundstücksgrenzen ist wohl das meistbenutzte Bild für den Kampf von Mein und Dein. Obwohl es oft nur hüfthohe Jägerzäune sind, die die Grenze zwischen Nachbar Hans und Nachbarin Gertrude markieren, wird diese oft penibel eingehalten und niemand käme auf die Idee, einfach hinüberzusteigen.

„Wer setzt eine Grenze, wie verläuft der Prozess des Begrenzens und welche Strategien verfolgt ein Akteur durch das Setzen einer Grenze?“ Diese Fragen stellen Christian Wille und seine Kollegen von der Universität Luxemburg, die interdisziplinäre Grenzraumforschung betreiben, „Border Studies“. „Grenzen sind niemals einfach nur da, sondern werden aktiv hergestellt und mit Bedeutung gefüllt. Sie müssen von anderen Menschen auch als solche erkannt werden, ansonsten sind sie nutzlos. Das nennen wir Bordering“, sagt Wille. Leicht zu übersteigende Buchsbaum-Hecken zwischen zwei Gärten sind dafür die ideale Veranschaulichung.

Optische Begrenzung

Pawel Mroczkowski hat schon viele Grenzen errichtet. Er ist technischer Geschäftsführer von TRAUMZAUN24.de und weiß aus praktischer Erfahrung, was hinter dem Bordering der Haus- und Gartenbesitzer steckt.

„Der Sicherheitsaspekt steht beim privatem Zaunbau nicht im Vordergrund. Es geht vielmehr um eine optische Begrenzung, die genau anzeigt, wo das eigene Reich beginnt und wo es endet“, sagt Mroczkowski. Und gut aussehen sollte dieses Reich natürlich auch. „Während bei Zäunen um Firmengelände vor allem die Funktionalität und der Preis entscheidend sind, steht beim privaten Zaunbau die Optik im Mittelpunkt.“ Der Trend entwickelt sich weg von massiven Mauern und hin zu filigranen Aluminium- oder Stahl-Umzäunungen. Die Zäune werden intelligenter. „LED-Beleuchtung, integrierte Gegensprechanlagen oder Fingerprint-Türöffner gehören heute fast schon zum Standard und werden beinahe unsichtbar in Zaunanlagen integriert.“

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■ Sachbuch: Georg Müller: „Europas Feldeinfriedungen. Wallhecken (Knicks), Hecken, Feldmauern (Steinwälle/Trockensteinmauern), Trockenstrauchhecken, Biegehecken, Flechthecken, Flechtzäune und traditionelle Holzzäune“. Neuer Kunstverlag, Stuttgart 2013, 2 Bände, 1.280 S., 298 Euro Martina Rahner, Jörg Schierwagen: „Zäune, Mauern, Hecken. Design am Grundstücksrand“. Callwey 2011, 160 S., 46,95 Euro

■ Roman: Magnus Mills: „Die Herren der Zäune“. Suhrkamp 2002, 216 S., 18,41 Euro. Geschichte eines schottischen Zaunbauers, der in England Zäune bauen muss

■ Internet: www.wallhecke.de

Die Optik der Begrenzung spiegelt sich auch in Geländern und der Haustür wider. „Dabei gibt es regionale Unterschiede. In Berlin etwa werden gerne Metallpfosten verwendet, während in Hamburg traditionell mehr Mauer-Elemente eingearbeitet werden“, sagt Mroczkowski. Hundertprozentige Sicherheit vor Eindringlingen können Zäune und Mauern aber eh nicht bieten. Wer professionell auf Einbruchtour geht, für den stellen auch „Incubus“, „Fractus“ und „Nimbus“ kein echtes Hindernis dar. Die Nachbarn sehen jedoch ganz genau, auf welchem Teil der Wiese Fußball gespielt werden darf und wo ein privates Reich mit potenziell anderen Regeln und Gesetzen beginnt.

Die „Visitenkarte des Hauses“ dient auch dazu, Individualität auszudrücken: Herr Schneider versteht sich selbst als mondän und gestaltet seinen Zaun im eleganten Stil, Frau Mayer ist eher der verspielte Typ und setzt auf eine Eigenanfertigung. Herr Becker wiederum kann es sich leisten, seine Initialen im Zauntor zu verewigen. So wird die Identität der Bewohner durch die Abgrenzung an sich als auch durch die Gestaltung der Grenze unterstützt.

Der einfache Jägerzaun aus x-förmig angebrachten Latten scheint fast komplett verschwunden und durch Metallmodelle ersetzt. Mroczkowski ist der lebende Beweis, denn er verdient sein Geld mit dem veränderten Zauntrend. Zufall oder evolutionäre Entwicklung?

Schon vor 1,5 Millionen Jahren, so schätzen Experten, errichteten Menschen Zäune. Die sogenannten Trockenstrauchhecken bestanden aus Ästen und Gestrüpp und dienten dem Schutz vor wilden Tieren und Feinden. Georg Müller ist Pensionär und einer dieser Experten, wenn nicht der Experte auf dem Gebiet der Zaun-Forschung. Sein 1.280 Seiten starkes Buch „Europas Feldeinfriedungen“ gilt unter den europäischen Vegetationswissenschaftlern und Geobiologen als Standardwerk. Müller hat die umfassendste Dokumentation über Europas Hecken, Wallhecken, Feldmauern und andere Feldeinfriedungen geschrieben. Das Buch ist das Ergebnis seiner Forschungsarbeit: Seit fast 40 Jahren kategorisiert Müller Zäune und Landschaftsbegrenzungen.

Alles begann mit der Neolithischen Revolution, dem Sesshaftwerden der Menschen in Mitteleuropa vor etwa 11.000 Jahren, mit Ackerbau und Viehzucht, sagt Müller. Die Menschen suchten Schutz vor Tieren und anderen Menschen – der Gartenzaun war geboren. Wie konnte sich daraus der Jägerzaun entwickeln? Direkte Vorläufer der hölzernen Abgrenzungen waren zunächst Kreuzhecken, also Begrenzungen, die aus Pflanzen bestanden. Später wurden an ihrer Stelle Hasennetze eingesetzt, die um die Äcker gespannt wurden und in denen sich Tiere verfingen. „Aus diesen Netzen hat sich dann der klassische Jägerzaun entwickelt“, erklärt Müller. „Der Name kommt also vermutlich daher, dass sich das Hasennetz wie ein Jäger verhalten hat.“

Holzkiller Stacheldraht

Zahlen

■ Der Längste: Dog-Fence schützt Schafe im Süden Australiens vor Raubtieren und ist mit 5.353 Kilometern der längste Zaun der Welt. Der mit 3.256 Kilometern zweitlängste Zaun wurde zwischen 1901 und 1908 ebenfalls in Australien errichtet, heißt Rabbit-Proof-Fence und soll Weiden vor Kaninchen schützen.

■ Der Kürzeste: Der kürzeste Zaun der Welt wurde 2005 von den Forschern Seth Marder und Joseph Perry mittels der Mikrotechnik der two-photon 3D lithography hergestellt. Er ist etwa 200 Mikrometer lang und 50 Mikrometer hoch und besteht aus drei rechteckigen Kettengliedern und zwei Pfosten. Er dient allein Demozwecken.

Anfangs war er nicht sehr verbreitet. In Deutschland wurden vor allem Steckzäune benutzt. Diese waren wegen ihres geringeren Gewichts leichter zu transportieren. Die erste bildliche Dokumentation eines Jägerzauns stammt aus dem 16. Jahrhundert. Damals waren diese Zäune bis zu 2,5 Meter hoch und dienten vor allem als Weidezäune.

„Spätestens mit der Erfindung des Stacheldrahts im Jahr 1873 kamen Holzzäune jeder Kategorie unter Druck“, sagt Müller. Zwar gäbe es den Jägerzaun noch heute in Gärten vor allem in Süd- und Ostdeutschland. Mehr und mehr werde er jedoch durch den Lattenzaun oder Metallkonstruktionen verdrängt. „Ich konnte im Verlauf meiner Arbeit 80 verschiedene Zauntypen unterscheiden. Viele sind schon verschwunden. Andere sind davon bedroht“.

Ob aus Holz oder Metal, ein Zaun, der kaputtgeht, muss repariert werden oder durch einen neuen ersetzt werden. „Jede Grenze, die wirkungsvoll sein soll, muss immer wieder erneuert werden“, sagt der Grenzraumforscher und Kulturwissenschaftler Christian Wille. „Wenn ich mich an bestimmte Regeln halte, wird die Unterteilung, die die Grenze vornimmt, bestätigt. Aber auch durch den Bruch von Regeln.“ Die Sichtbarkeit der Grenze spielt eine große Rolle, ist aber noch lange nicht alles. Die Bedeutung von Grenzen und Zäunen ist auch eine kulturelle Angelegenheit. „Man ist immer darauf angewiesen, dass das Signal verstanden wird, das man mit einem Zaun oder einer Grenze aussenden will.“ Manchmal ist eine weiße Linie auf dem Boden ein absolutes Hindernis, wie beispielsweise beim Fußball die Seitenauslinien. Ein andermal ist es der Zufall der eigenen Geburt, die aufgrund der Staatsbürgerschaft bestimmte Freiheiten zulässt und andere verbietet, oder eben der Jägerzaun zwischen zwei Grundstücken, die das Ende des eigenen Eigentums markieren. Welche Bedeutung die jeweiligen Grenzen haben und welche Tabus und Regeln damit verbunden sind, erschließt sich jemandem, dem die Kultur des jeweiligen Bereichs fremd ist, nicht immer gleich.

„Wenn man will, kann man überall Grenzen sehen“, sagt Wille, „auch das Ende meiner Schreibtischplatte markiert eine Grenze.“ Hinter den Grenzen, das zeigen die Beispiele Fußball, Nationalität und Eigentum sehr deutlich, stehen Ordnungen und Systeme, nach denen die Welt geordnet und kategorisiert ist. Das Abgrenzen des eigenen Grundstücks offenbart ein bestimmtes Verständnis von Privateigentum. Was Mein ist und was Dein ist, lässt sich durch Teilung verdeutlichen. Setzt man dann noch Spitzen auf den Zaun, lässt sich die Ordnung nicht mehr so leicht einreißen. Über einen Jägerzaun kann man drübersteigen, beim „Incubus“ mit extra Spitzen wird das schon schwieriger.

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