DIE GESELLSCHAFTSKRITIK
: Das Dissertationsdilemma

WAS SAGT UNS DAS? Nun soll auch Niedersachsens Kultusminister Bernd Althusmann bei seiner Doktorarbeit abgeschrieben haben

Eine Promotion zu schreiben, ist harte Arbeit. Doktoranden und Doktorandinnen versenken sich jahrelang in ihren Gegenstand. Sie entwickeln eine große Kennerschaft auf einem kleinen Gebiet. Die Tiefe ihres Wissens verhält sich also umgekehrt proportional zum Umfang ihres Gegenstands, und wer zum Silberbergbau im Bolivien des 16. Jahrhunderts promoviert, dürfte sich darüber im Klaren sein, dass sich dieses Wissen jenseits der Universität kaum verwerten lässt. Indem er viel Zeit am Schreibtisch verbringt, verzichtet er zudem darauf, eine Schlüsseltugend unserer Arbeitswelt zu entwickeln: die Fähigkeit zum Netzwerken und Kommunizieren.

Wer promoviert, erwirbt also Eigenschaften, die nicht benötigt werden, um nicht zu sagen: Sie sind überflüssig, sogar hinderlich. Nicht profunde Kenntnis eines Gegenstands ist gefragt, sondern allseitige Einsetzbarkeit, nicht Wissen und Hartnäckigkeit werden erwartet, sondern die Fähigkeit, sich flexibel und schnell auf neue Aufgaben einzulassen. Die Universitäten haben darauf reagiert, indem sie die Bachelor-Studiengänge von dem, was wissenschaftliches Arbeiten im Kern ausmacht, befreit haben.

Es entsteht ein seltsamer Zwiespalt: Auf der einen Seite steht einem im Wege, was man sich beim Promovieren aneignet, auf der anderen Seite hat der Titel nicht nur akademische Funktionen, vielmehr verspricht er in Politik und Medien nicht zu unterschätzende Aufstiegschancen. Wenn Karl-Theodor zu Guttenberg, Silvana Koch-Mehrin und Bernd Althusmann beim Verfassen ihrer Dissertation unlauter vorgehen, versuchen sie, dieses Dilemma auf privatem Wege zu lösen. Sie tun, was vom flexiblen Subjekt unserer neoliberalen Tage erwartet wird: Sie sind so smart, mit geringem Aufwand ein großes Ergebnis zu erzielen. Das verträgt sich zwar nicht mit einem konservativen Wertekanon, wohl aber mit neoliberalen Parteiprogrammen.

Mit Autoritätshörigkeit und blindem Glauben an akademische Hierarchien hat es also nichts zu tun, wenn man die Plagiatsaffären ernst nimmt und Konsequenzen fordert. Es hat damit zu tun, dass man auf einer Form von Wissenserwerb besteht, die den Namen verdient. Das heißt: auf einer Langsamkeit, einer Tiefe und einem Denken, das sich gerade nicht in den Dienst unmittelbarer Verwertbarkeit stellt und so einen Raum für Kritik eröffnet, in dem sich der Geist des neuen Kapitalismus zumindest ein wenig unbehaglich fühlt. CRISTINA NORD

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