STADTGESPRÄCH
: Knirschen ohne Scheu

Italiens Regierungschef Matteo Renzi kungelt mit Silvio Berlusconi und liebäugelt mit Beppe Grillo

Erst am letzten Mittwoch haben sie sich wieder gesehen, haben sie gute zwei Stunden angeregt diskutiert: Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi und sein Vorvorgänger Silvio Berlusconi. Der Politjungstar aus Florenz findet gar nichts dabei, ausgerechnet jenen abgehalferten alten Mann zu sich in den Amtssitz des Ministerpräsidenten einzuladen, jenen Vorbestraften, der gerade wegen Steuerhinterziehung Sozialstunden ableistet und der vor exakt einem Jahr wegen seiner Verurteilung auch seinen Senatssitz einbüßte.

Gewiss, die mittlerweile regelmäßigen Begegnungen werden mit höchster Diskretion abgewickelt, gemeinsame Fotos sind nicht zu haben. „Bei jeder Gelegenheit schießen Sie Selfies, bloß wenn Silvio vorbeikommt, twittern Sie nie ein Selfie von dem Tête-à-tête“, bemerkte letzthin eine spanische Journalistin in einem Podiumsgespräch mit Renzi.

Der aber zuckte bloß mit den Schultern, führte aus, was er seit Monaten schon sagt: Ohne Berlusconi gehe es halt nicht in der römischen Politik. Wenigstens für die Reform des Senats und die Wahlrechtsreform werde der Frontmann der Rechten eben gebraucht, auch wenn seine Partei Forza Italia in der Opposition sitzt. Und den Partner im Dialog könne man sich leider nicht aussuchen, erst recht nicht, solange „Millionen Italiener ihn wählen“.

Und noch ein starkes Argument hatte der Ministerpräsident, der zugleich Chef der gemäßigt linken Partito Democratico (PD) ist: Die größte Oppositionskraft im Parlament, Beppe Grillos Movimento-5-Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung), habe sich in totaler Verweigerungshaltung eingeigelt, und auch mit der rechtspopulistisch-fremdenfeindlichen Lega Nord sei nun mal kein Staat zu machen.

Dumm nur, dass Renzi und Berlusconi ihr Einvernehmen zwar schon im Februar in einen Reformpakt gegossen haben, dass seitdem Forza Italia (FI) im Parlament eine mehr als handzahme Opposition betreibt – dass aber die angestrebten Reformen nicht so recht vorankommen wollen. Berlusconi spielt auf Zeit, mit gutem Grund: Bei schnellen Neuwahlen käme seine FI auf nur noch 12–15 Prozent.

Doch ausgerechnet dieses Spiel auf Zeit, das ihn über die Runden retten sollte, könnte Silvio jetzt zum Verhängnis werden. Endlich nämlich ist Grillos M5S aufgewacht – und hat begonnen, statt Fundamentalopposition Politik zu machen. Bisher galt bei M5S: Jeder Abgeordnete, jede Senatorin, die auch nur schüchtern die Chancen eines Dialogs mit der PD ausloten wollten, flog umgehend aus den Fraktionen.

Als Abtrünnige, als Verräter durften sich die Abweichler dann auf Beppe Grillos Blog schmähen lassen; seit den Wahlen vom Februar 2013 – die M5S stolze 25 Prozent eingetragen hatten – kamen der Protestbewegung so immerhin 15 der ursprünglich 54 Senatoren abhanden. Obstruktion bis hin zur Besetzung der Präsidentenbank, Geschrei im und empörte Protestaktionen vor dem Parlament: Die M5S-Volksvertreter waren eine laute, aber einflusslose Krawalltruppe.

Jetzt aber kam die Wende. Seit Juni schon versuchte Italiens Parlament, zwei neue Verfassungsrichter zu wählen; 60 Prozent der Abgeordneten und Senatoren müssen in geheimer Abstimmung den Kandidaten zustimmen. An dieser Hürde scheiterten bisher gleich mehrere Duos, die von Renzi und Berlusconi ins Rennen geschickt worden waren.

Am Donnerstag endlich ging die Wahl wenigstens einer Kandidatin erfolgreich über die Bühne – gekürt wurde eine der PD nahestehende Juristin, deren Kandidatur auch von den Fünf Sternen mitgetragen wurde. In den Grillo-Fraktionen wurde freudig der Rotwein entkorkt angesichts der kleinen Revolution, die die Karten in Rom völlig neu mischen könnte. Und Renzi kommentierte trocken, der Pakt mit Berlusconi knirsche, um sofort nachzulegen, „das ist schon mehr als Knirschen“.

Schon wird eifrig spekuliert, ob Renzi mit Grillo jetzt auch das neue Wahlgesetz strickt. An Vorbehalten des Regierungschefs gegen den Exkomiker dürfte das wohl kaum scheitern; Dass Renzi Berührungsängste in jedweder Richtung fremd sind, hat er schließlich bewiesen

MICHAEL BRAUN

AUS ROM