Botschafter in eigener Sache

Er sitzt für die Grünen im Stadtrat von Recklinghausen, ist aber im Grunde immer auf dem Sprung. Ali Ertan Toprak (38) kämpft als Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Deutschland um Anerkennung: in der Bevölkerung und in der Islamkonferenz

VON HENK RAIJER

Beim Thema Großmoschee ist er ganz Diplomat. Ali Ertan Toprak ist bei Vorträgen und Podiumsdiskussionen stets darauf bedacht, nicht islamfeindlich rüberzukommen, nicht einmal bei Treffen im Kreise der Seinen wie an diesem Abend im Vereinshaus der Alevitischen Gemeinde in Köln. Der 38-Jährige wahrt wie immer die Balance. Beide Hände vor der Brust verschränkt, nimmt er, wie unter jungen Aleviten üblich, auf Deutsch Stellung zu der Frage, die die Kölner seit einiger Zeit in zwei Lager spaltet. Einerseits habe „natürlich jede Religionsgemeinschaft in Deutschland das Recht, ein Gebetshaus zu bauen“, sagt Toprak, während er seiner Tischnachbarin einen Schluck Rotwein nachschenkt. Andererseits „sollten die Muslime die Ängste der Kölner ernst nehmen, sie nicht sofort als islamfeindlich auslegen“.

Das ist manch einer der Versammelten dann doch zu versöhnlich. Schließlich sei die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), die Bauherrin der geplanten Moschee im Stadtteil Ehrenfeld, eine vom türkischen Staat gelenkte und finanzierte Organisation, die „uns Aleviten als Religionsgemeinschaft nicht anerkennt und unseren Leuten in der Türkei noch heute das Leben schwermacht“, echauffiert sich Topraks Tischnachbarin, die aus Troisdorf zum Verbandstreffen angereist ist.

Das weiß auch Ali Toprak, seit gut einem Jahr Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Deutschland, die als Dachverband bundesweit 110 Einzelgemeinden vertritt. Auch ihn störe die ideologische Ausrichtung des Islam, sagt der Mann in weißem Hemd und blauem Sakko, der an diesem Abend junge Verbandsmitglieder aus Schweden, Dänemark und Belgien zum Kölner Treffen begrüßen wird. Aber er verstehe sich nun mal als Mittler. Immerhin müsse er in der jüngst von Wolfgang Schäuble installierten Islamkonferenz mit dem neu gegründeten Koordinationsrat der Muslime in Deutschland zusammenarbeiten. Das sei schwer genug, da man Jahrzehnte lang nicht mit einander geredet habe. „Die Aleviten kämpfen seit Jahrhunderten gegen Diskriminierung und Ausgrenzung im islamischen Kulturraum“, erzählt Toprak. „Das ist hier und heute nicht viel anders, denn die Mitglieder des Koordinationsrats halten uns für nicht ganz koscher, weil wir eine ganz andere Theologie vertreten als Sunniten und Schiiten“, sagt der gelernte Jurist aus Recklinghausen, der in Ankara geboren wurde und im Vorschulalter mit seiner kurdischen Familie nach Deutschland kam. „Wir werden hier immer als die ‘liberalen Muslime‘ dargestellt. Dabei ist der Koran gar nicht unsere Quelle“, erklärt Toprak, nach dessen Zielsetzung eine Mehrheit der Deutschen in drei Jahren Muslime und Aleviten wird auseinander halten können (siehe Kasten unten).

Für dieses Ziel und für die vollständige Anerkennung als Religionsgemeinschaft in allen deutschen Bundesländern tourt der Generalsekretär seit nunmehr einem Jahr durch die Republik, besucht die angeschlossenen alevitischen Gemeinden im Land und erklärt Schülern und Politikern vor Ort die Grundlagen von Islam und Alevitentum. Das kostet Zeit. Zeit, die ihm neuerdings für seine politische Arbeit an der Heimatfront fehlt. Seit 2004 hält der Grünen-Politiker ein Stadtratsmandat in Recklinghausen, sitzt im Ausschuss für Soziales und Integration, hält Kontakt zu den Stadtteilverbänden, berichtet dort über kommunale Entscheidungen, grüne Anliegen oder etwa die Ergebnisse der Islamkonferenz. Wenn er denn da ist. Höchstens ein oder zwei Tage die Woche sei er heute noch in Recklinghausen, gibt Ali Toprak, der keine Kinder hat, fast ein wenig reumütig zu. Darunter litten nicht nur Beziehungen. Auch der grünen Basis in seiner Stadt könne er es kaum verdenken, dass sie zu murren beginnt.

Karrieresprungbrett

Die spannenden Seiten der neuen Aufgabe indes scheinen das schlechte Gewissen bereits erfolgreich verdrängt zu haben. „Je bekannter du als Funktionsträger wirst, desto mehr Einladungen bekommst du“, sagt Ali Ertan Toprak und erzählt mit leuchtenden Augen, wie aufregend es für ihn sei, am einen Tag mit Bundesinnenminister Schäuble die Integrationsfrage zu diskutieren, an einem anderen zu einem Empfang zu Ehren von US-Außenministerin Rice eingeladen zu werden.

„Natürlich sind wir Grüne stolz, dass Ali Toprak inzwischen Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde ist“, sagt Holger Freitag, einer von Topraks vier FraktionskollegInnen im Recklinghäuser Stadtrat. „Aber uns ist damit im politischen Alltagsgeschäft eine Kraft verloren gegangen und das schwächt uns vor Ort.“ Zeit und Muße, sich in schwierige Arbeitsfelder einzuarbeiten, blieben dem Kollegen kaum noch. Eine nochmalige Kandidatur Topraks sei eher unwahrscheinlich, meint Freitag. Einmal wegen der etwas gereizten Stimmung an der grünen Basis, nicht zuletzt aber wegen seiner Position in der Alevitischen Gemeinde, die dem heutigen Kommunalpolitiker Toprak „als Sprungbrett dienen könnte, demnächst in einer ganz anderen Liga zu spielen“.

Den ersten Versuch dazu startete Ali Ertan Toprak im Anlauf zur Landtagswahl 2005. Der damals 35-Jährige, der freiberuflich als Rechtsberater und Übersetzer arbeitete, wollte nach beharrlicher Ermutigung von Migrantenverbänden in die Düsseldorfer Volksvertretung. Doch die Partei, der er seit 1994 angehört und für die er von 1995 bis ‘98 im Ausländerbeirat der Stadt Recklinghausen saß, machte ihm auf der Regionalkonferenz im Herbst 2004 keine allzu großen Hoffnungen. Die Erfahrungen mit Jamal Karsli, den die NRW-Grünen kurz zuvor wegen seiner antisemitischen Äußerungen ausgeschlossen hatten, würden es „schwierig“ machen, einen aussichtsreichen Listenplatz für den Migranten Ali Toprak zu legitimieren, hieß es damals aus grünen Delegiertenkreisen. Ein aussichtsloser 30. Platz auf der Landesreserveliste war das Ergebnis.

Noch heute ärgert sich Ali Ertan Toprak über die unentschiedene Haltung in seiner Partei, die sich so gerne damit schmückt, dass in ihr die Anliegen der Migranten ein Sprachrohr finden, die aber in der Praxis nur selten Kandidaten mit Migrationshintergrund nach vorne schiebt. „Das Karsli-Argument war ein klarer Fall von Sippenhaft“, sagt Toprak, „und eines dieser Beispiele symbolischer Ausbürgerung, die wir Deutschen mit Migrationshintergrund ständig erfahren.“ Den Grünen würde es gut tun, wenn in öffentlichen Ämtern mehr Migranten vertreten wären, so Toprak. Denn: „Integration kann nur gelingen, wenn es eine Kultur der Anerkennung gibt.“ Alles andere führe zu einem Rückzug in die Communities.

Aleviten verstehen sich als Anhänger Alis, des Schwiegersohns des islamischen Propheten Mohammed. Somit bilden sie nach eigener Auffassung eine eigenständige Religionsgemeinschaft, die sich in der Türkei seit Jahrhunderten der Zwangssunnitisierung und Diskriminierung ausgesetzt sieht. Zu den Aleviten gehören Bevölkerungsgruppen türkischer, kurdischer, turkmenischer und arabischer Herkunft. In der Türkei bilden sie mit einem Anteil von 20 bis 30 Prozent nach den sunnitischen Muslimen die zweitgrößte Religionsgruppe. Geht man für die Türkei von einem Drittel der Bevölkerung aus, so dürfte wegen des großen Anteils von Aleviten an der Gesamtzahl der nach Deutschland Ausgewanderten ihre Anzahl hier bei 800.000 liegen. Aleviten gelten als Muslime, obwohl sie keiner schriftlich fixierten Dogmatik folgen. Aleviten glauben an einen Gott, dessen sichtbare Gestalt die Natur und damit auch der Mensch ist. Die Scharia, das islamische Gesetz, hat für sie keine Bedeutung, der Fastenmonat Ramadan wie die Pilgerfahrt nach Mekka sind nicht vorgeschrieben. Frauen tragen kein Kopftuch und sind gleichberechtigt. Aleviten befürworten den säkulären Staat und tendieren zu liberalen Positionen. HERA

Nicht reif für die EU

Verdaut hat er das politische Ränkespiel anscheinend längst. Trotz der auch unter Parteifreunden verbreiteten Ignoranz den Ambitionen von Einwanderern gegenüber fühlt sich Toprak, wie er sagt, politisch einzig bei den Grünen zu Hause. Auch für die Kollegen im Bund war er schon mal längere Zeit tätig: ab 1998 als Mitarbeiter des damaligen Bundestagsabgeordneten und heutigen Europaparlamentariers Cem Özdemir, den er noch heute gelegentlich in den Bereichen Türkeipolitik und Türkische Medien berät. Dabei kommt der Mann, der eigenen Angaben zufolge bis zu seinem 28. Lebensjahr ausschließlich Deutsche als Freunde hatte und nicht religiös erzogen wurde, aus einem traditionell sozialdemokratischen Milieu, war schon zu Schulzeiten bei den Jusos aktiv und bis 1994 Parteimitglied der SPD. Politisiert hat den damaligen Gymnasiasten der erste Golfkrieg (1980-88), im Zuge dessen das grausame Vorgehen des irakischen Diktators Saddam Hussein gegen die Kurden ihn auf die Straße trieb.

Vom Arbeitskreis sozialdemokratischer Kurden hat ihn auch Saadet Arduc in Erinnerung, die wie Ali Toprak Anfang der 90er Jahre bei den Jusos engagiert war. „Damals war er nicht so rührig, eher verhalten“, charakterisiert ihn die Betriebswirtin aus Troisdorf, die auf Einladung des Generalsekretärs zum Kölner Treffen gekommen ist. „So wie ich ihn hier erlebe, wundert es mich nicht, wie er es schafft, die Leute für sich und die Sache zu gewinnen“, sagt Saadet Arduc, die wie viele Aleviten kurdischer Herkunft ist. „Er scheint richtig darin aufgegangen zu sein.“

Verwunderlich ist ebenso wenig, dass die aktuelle Kurdenpolitik der türkischen Militärs und die intolerante Haltung vieler muslimischer Eiferer Ali Toprak in seiner Skepsis gegenüber einem EU-Beitritt seines Geburtslandes bestärken. „Für Muslime sind Aleviten Ketzer, eine Sekte“, erzählt er. „Religionsfreiheit, wie wir sie in Deutschland kennen, heißt für dogmatische Muslime nur die Freiheit des Kopftuchs.“ Er unterstütze zwar eine Beitrittsperspektive, aber aus eigener Kraft schafften es die Türken nicht. „Die Türkei ist nicht reif für die Union, aber man darf das Land nicht seinem Schicksal überlassen“, beschwört Toprak, nun auf Türkisch, die jungen Gäste aus dem europäischen Ausland. Schließlich sei eine zur Union gehörende Türkei ein Gewinn für die Sicherheit Europas. Und damit für die Aleviten.