Tschüs, gute alte Hauptschule!

taz-Serie „Das letzte Jahr“ (Teil 7): Für die Schüler der Klasse 10/3 ist die Zeit an der Werner-Stephan-Oberschule so gut wie vorbei. Ihre Bilanzen sind unterschiedlich: Einige haben einen Ausbildungsplatz gefunden, andere gehen weiter zu Schule

In der Serie „Das letzte Jahr“ begleiten wir seit vergangenem August zwölf SchülerInnen einer 10. Klasse der Tempelhofer Werner-Stephan-Oberschule. Für die HauptschülerInnen ist dieses letzte Schuljahr besonders wichtig: Sie erwerben den erweiterten Hauptschulabschluss oder den Mittleren Schulabschluss (MSA) und müssen sich zudem Gedanken über ihre Zukunft machen. Für die meisten hat es sich inzwischen entschieden, wo sie das kommende Jahr verbringen werden: in einer Lehre oder auf einer weiterführenden oder berufsvorbereitenden Schule. Bis zum Beginn der Sommerferien noch gucken wir ihnen über die Schulter. AWI

PROTOKOLLE ALKE WIERTH

Arafat, 18:

„Ich habe meine Pläne geändert und werde nun nicht das Oberstufenzentrum [OSZ] Gesundheit in Hellersdorf, sondern das für Wirtschaft besuchen. Das ist hier in Tempelhof. Ich glaube, dass das besser für mich ist. Ich habe ja hier in der Schülerfirma auch schon im Büro gearbeitet, das passt zu mir.

Es stimmt schon, ich habe mich in Hellersdorf auch auf Anhieb nicht wohl gefühlt. Ich war einmal dort, um an der Schule meine Bewerbungspapiere abzugeben. Das ist wie eine fremde Stadt für mich. Hier in Tempelhof und Kreuzberg, das ist meine Stadt, hier habe ich Freunde.

Am besten wäre es natürlich, wenn unsere Klasse zusammenbleiben könnte. Ich war sehr zufrieden mit dieser Schule. Ich bin ja erst in der 9. Klasse hierhergekommen. Vorher war ich an einer anderen Hauptschule, in Kreuzberg, da war es schrecklich. Es gab zu viel Gewalt, es gab Überwachungskameras, da fühlte man sich wie im Knast.

Angst vor der Zukunft habe ich nicht. Aber ich denke jeden Tag daran. Ich will am OSZ den Mittleren Schulabschluss machen, später dann am besten ein Fachabitur. In zehn Jahren will ich einen guten, einen sehr guten Beruf haben. Es wäre schön, so 1.800 Euro zu verdienen.“

Dennis, 16:

„Ich werde die Schule bestimmt vermissen, aber ich freue mich auch sehr auf mein neues Leben. Ich habe einen Ausbildungsplatz als Konditor gefunden. In den Osterferien war ich für zwei Tage zum Probearbeiten in den Betrieb eingeladen, und der Chef hat mich schon nach einem Tag gefragt, ob ich die Lehre machen will. So zufrieden war er mit mir.

Ich hatte zu der Zeit einen Steißbeinbruch, ich war auf dem Heimweg von der Schule ausgerutscht und gestürzt. Im Betrieb habe ich das gar nicht gesagt. Ich hatte vorher mit meinem Arzt gesprochen, der hatte mir geraten, nicht zu schwer zu heben. Am meisten Angst hatte ich vor den Pausen: wenn sie zu mir gesagt haben, Dennis, setz dich mal ein bisschen hin, ruh dich aus. Das Sitzen tat nämlich am meisten weh. Vor der Berufsschule habe ich keine Angst, das packe ich. Dass ich während der Lehre wenig verdiene, ich mir egal.“

Johannes, 17:

„Bei mir läuft es leider nicht so, wie ich gehofft hatte. Mit meiner Lehrstelle als Kfz-Mechatroniker hat es nicht geklappt. Der Chef hatte zwar nach meinem Praktikum gesagt, dass er mich gerne nehmen würde. Aber er hat schon zu viele Azubis. Sonst habe ich nur Absagen bekommen – vielleicht wegen dem Wort „Hauptschule“ auf dem Zeugnis?

Jetzt gehe ich erstmal aufs OSZ Kraftfahrzeugtechnik und werde da meinen Mittleren Schulabschluss machen, falls ich den hier nicht schaffe. Ich habe nämlich leider bei der Präsentationsprüfung, bei der wir selber eine Art Vortrag halten müssen, einen völligen Blackout gehabt. Das passiert mir sonst eigentlich nie. Ich bin es ja gewohnt, vor vielen Leuten zu sprechen. Letztens habe ich auf einer Demo vor dem Roten Rathaus gegen das schlechte Image der Hauptschulen geredet. Viele stempeln uns Hauptschüler ja gleich als dumm ab. Dabei gibt es auch hier viele Begabungen und Fähigkeiten.

Ich war von der Grundschule als Legastheniker hierhergeschickt worden. Damals war ich ein ziemlich schlechter Schüler. Hier hat sich das dann erledigt, ich habe heute einen Notendurchschnitt von 1,8. Meinen alten Traum, Pilot zu werden, habe ich nicht aufgegeben. Aber es ist ein Fernziel. Erst mal muss ich sehen, was ich in den nächsten Jahren erreichen kann.“

Sven, 17:

„Ich bin froh, dass die Schule vorbei ist. Es ist mir zu langweilig hier. Es gibt Phasen, da kann ich lernen, in anderen nicht. Ich wohne ja auch schon lange allein. Ich genieße es, unabhängig zu sein und mir von niemandem etwas sagen lassen zu müssen.

Mein Traum ist ein eigener Betrieb, Metallhandwerk oder so was. Ich habe nicht nach einer Lehrstelle gesucht. Ich werde stattdessen einen berufsvorbereitenden Lehrgang machen, da habe ich erst Schule und bekomme dann einen außerbetrieblichen Ausbildungsplatz. In welchem Beruf, das entscheidet das Arbeitsamt für mich.“

Sandy, 16:

„Die Schule werde ich vermissen. Ich habe Angst davor, dass ich nichts kriege, keinen Ausbildungsplatz, keinen Job. Ich habe mich um viele Lehrstellen beworben und hatte einige Bewerbungsgespräche, vor allem bei Lebensmittel- und Blumenläden. Aber bisher hat nichts geklappt.

Die Einstellungstests sind oft schwer. Da wird man nach Sachen aus der Wirtschaft und aus der Politik gefragt, da bin ich nicht so gut. Ich bin besser, wenn es um berufsbezogene Sachen oder auch um Mathe geht. Mein letztes Bewerbungsgespräch war bei einer Bäckerei, das ist ganz gut gelaufen. Ich hoffe, dass sie mich nehmen.

Es macht mich traurig, wenn ich daran denke, dass ich die Freundinnen und Freunde aus meiner Klasse vielleicht bald nicht mehr sehen werde. Hoffentlich verlieren wir nicht so schnell den Kontakt! Ich habe mich an dieser Schule sehr wohl gefühlt. Hier gibt es Deutsche und Ausländer und alle möglichen Arten von Menschen, und man kommt gut miteinander aus. Die Lehrer sind nett und hilfsbereit, die ganzen AGs und Projekte und die Fahrten, die wir unternommen haben, und das ganze Programm hier, das wird mir fehlen. Sogar die Hausaufgaben werde ich vermissen.

Andererseits sind zehn Jahr auch genug. Ich möchte gerne mal eine eigene Wohnung, ein eigenes Leben haben. Ich denke, so 1.000 Euro würde ich zum Leben brauchen. Aber 700 sind auch genug.“ (Sandy hat die Stelle bekommen)

Katrin, 17:

„Ich verlasse die Schule noch nicht, sondern mache die zehnte Klasse hier noch mal. Ich bin ja erst vor vier Jahren aus dem Libanon nach Deutschland gekommen. Damals konnte ich überhaupt kein Deutsch. Ich war zunächst in einer Förderklasse und bin erst in der 8. in eine Regelklasse gewechselt. Meine Noten sind noch nicht so gut. Mathe und Geschichte machen mir Spaß. Aber in Deutsch habe ich noch Schwierigkeiten.

Sprechen habe ich eigentlich schnell gelernt, darauf bin ich auch stolz. Aber schreiben ist noch schwer. Ich habe ja im Libanon auf Arabisch lesen und schreiben gelernt. Da war ich eine gute Schülerin. Es tut mir aber nicht leid, dass wir hierhergekommen sind. Meine Mutter wollte gerne kommen, da mein Vater schon viele Jahre hier gearbeitet hat. Sie wollte nicht immer von ihm getrennt sein.

Ich will im nächsten Jahr den erweiterten Hauptschulabschluss erreichen und dann am liebsten eine Ausbildung zur Friseurin machen.“