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Der Unfassbare

GLÜCKWUNSCH Klaus Wolschner bleibt ein Rätsel. Als Gründer und De-facto-Chef der taz bremen erntet er kaum Geld und Ehre – und nur zum 60sten mal etwas Zuwendung

VON BURKHARD STRASSMANN

Er verbirgt in sich Geheimnisse, die er nicht einmal dem Freund enthüllt. Man weiß nie so recht, woran man bei ihm ist. Er neigt dazu, zu schmollen, anstatt zu sagen, was ihm nicht passt.

Das Horoskop

Um Kleidung kümmert er sich nicht. Er trägt immer noch seinen alten Pullover aus seiner Studentenzeit. Er unterhält sich gern und ist oft recht beredsam. Mit Worten kann er andere dazu bringen, ihm überallhin zu folgen. Er trennt sich ungern von alten Freunden, Gewohnheiten oder einem vertrauten Ort.

All das sagt man (natune.net) dem Krebsmann nach, und wahrlich: Klaus Wolschner, 1951 an den Ufern der Wupper geboren, ist ein typischer Krebsmann. Der Gründer, Finanzjongleur, Hausmeister, Chefdemokrat, das Gesicht und das Rückgrat der taz bremen, von Anbeginn ihr heimlicher und unheimlicher Boss, wird heute 60. Tatäää!

Faits divers

Er hat in die Naturwissenschaften reingeschnuppert (Heidelberg, Physik), sich in den Geisteswissenschaften umgetan (Bremen, Geschichte), doch wie so viele Dilettanten oder Multitalente landet Wolschner am Ende im Journalismus. Erste Versuche an der Bremer Uni (Hochschulzeitung „Der Prolet – Periodikum für die gebildeten Stände“). Später das „Krokodil“, eine Art grünes Mitgliederblatt. In Berlin arbeitet er ab 1979 bei der taz als Inlandsredakteur.

Als taz-Korrespondent kehrt er zurück nach Bremen. Und in dieser von publizistischer Vielfalt nicht verwöhnten Sozistadt, wittert er das Potenzial für ein alternatives Blatt. Zusammen mit einer Handvoll undogmatisch linker und im Zweifel grüner Mitstreiter entwickelt er analog zu den Ausgaben in Berlin und Hamburg eine taz bremen. Zwar winkt die Bundestaz müde ab. Doch da kommt es zu einer legendären Wette: Schafft es Wolschner, 200.000 Spendenmark einzusammeln, soll Bremen eine Lokal-taz haben. Das Wunder geschieht: Zahlreichen Bessergestellten aus allen politischen Milieus leiert er Geld aus dem Kreuz. Nachdem 1985 eine wöchentliche Bremer taz erscheint, gibt es ab 1986 eine richtige neue Bremer Zeitung.

Wolschnerismus

Am Dobben 123 schart Klaus lauter merkwürdiges Journaillevolk um sich. Wolschners Credo: Zeitung lernt man nicht auf der Journalistenschule, sondern by doing. In der jungen Redaktion treffen journalistische Leidenschaft und politisches Interesse auf Schreibkunst, Frechheit und Lust am höheren Blödsinn. Wolschner orientiert die Redaktion auf einen hemmungslos neugierigen, überraschenden Journalismus hin.

Was ideologisch igitt ist und Dogmatiker ärgert, ist besonders spannend. In Zeiten, als linkes Lagerdenken verbreitet ist, interessiert sich Wolschner für die Herren der Handelskammer und knüpft Fäden ins CDU-Milieu. In der Stadt der Gesamtschulen kümmert er sich um Gymnasien. Und im eigenen Haus – der Bremer taz – provoziert er mit der Idee, die taz als Gratiszeitung zu verschenken. Später organisiert er eine Kooperation mit einem Igitt-Sender namens „Radio Wir von hier“. Da kennt er nix.

Noch was ist genuiner Bestandteil des Wolschnerismus: Netzwerken. Netze knüpft er nebenbei, immer und überall. Mit Klaus in der Stadt umherzugehen, macht keine Freude. Denn, wie ein Weggefährte es einmal formulierte, „unter jeder Laterne melkt er einen Informanten“. Klaus Wolschner ist schon Networker, als Netze noch Männerbünde heißen. Heute ist er natürlich bei Facebook.

Und weil er (Krebs!) zuhören kann, weiß er manches früher. Auf einem CDU-Treffen erlebt er den jungen Christian Wulff und verkündet: „Aus dem wird mal was.“ 1988 erschreckt er seine Kollegen mit der revanchistischen Prognose, demnächst würde die Mauer fallen. Als es soweit ist, geht er nach Ostberlin, erfindet die taz Ost, die ein Jahr lang überlebt. Danach kommt der Chef gottlob zurück nach Bremen.

De-facto-Chef

Der Chef? Wie wird man Chef in einem selbstverständlich herrschaftsfreien Betrieb? Indem man alles selber macht und sich keine Pause gönnt. Wolschner – typisch für die Generation zwischen 68er und Punk – ist omnipotenter Autodidakt. Gleichzeitig (Wuppertal!) ist er imprägniert mit protestantischem Arbeitsethos. Er besorgt Sperrmüllschreibtische, verlegt Leitungen, lötet Computer. Zum Leidwesen der Fotografen und anderer Schöngeister knipst er auch Fotos und bastelt am Layout. Wenn er gerade nicht frickelt, führt er Einstellungsgespräche, akquiriert Anzeigen oder entwickelt mit dem Arbeitsamt für die taz günstige Beschäftigungsmodelle. De jure fühlen sich alle als Chefs. Klaus lässt sie in dem Glauben.

Stilkritik

Betreibt der De-facto-Chef Camouflage? Oder ist es Überzeugung? Nicht doch! Schiere Achtlosigkeit bestimmt Wolschners berüchtigte Garderobe. In taz-Kreisen hüllt man sich, um Solidarität mit den Ärmsten zu beweisen, in Sack und Asche. Doch Klaus trägt nicht mal Antimode. Er ist so! Legendär sind seine verschiedenfarbigen Socken, die notorischen Flipflops, die kurzen Hosen, das Hawaiihemd. Als Taschen dienten handgewebte Umhängebeutel.

Klaus Wolschner ist der bescheidenste Journalist unter der Sonne. Geld bedeutet ihm nichts. Der Ruhm, an einem Wesermetropolblatt mitzuwirken, ist begrenzt. Nicht mal Autorität wird ihm gewährt in den antiautoritären taz-Strukturen. Klaus kauft sich im Baumarkt den hässlichsten asiatischen Motorroller. Später steigt er auf den ästhetisch nicht weniger dubiosen BMW-Roller mit Dach um. Heute fährt er ein stilistisch nicht zu kommentierendes Elektrorad. Er ist einfach zutiefst uneitel.

Ressourcen

Viele rätseln, was die Substanz ist, von der Klaus Wolschner sich nährt, wenn es nicht Geld, Ehre oder Zuwendung sind. Meditiert er heimlich? Treibt er Yoga? Hält er sich wochenweise in Klöstern auf? Gesundet er am heimischen Piano? Wie erholt er sich von der Haue, die er scheinbar unberührt bezieht? Beim Tennis? Tankt er Lebensenergie im Rathschor, wo er an der Seite vom Henning Scherf den Bass singt?

Niemand weiß, wie Klaus seinen Gefühlshaushalt organisiert. Selbst Freunde werden nie ganz schlau aus ihm. Ganz der Krebs. Dieser Mann wäre ein interessantes Studienobjekt für die Glücksforschung. Happy Birthday, Klaus!

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