Sandstreuer in die Buddelkiste

SPD-PARTEITAG Der designierte Regierende Bürgermeister Michael Müller pocht bei seiner Nominierung auf Solidarität. Parteichef und Exkonkurrent Stöß verspricht sie ihm

■ Die SPD hat sich bei ihrem Landesparteitag dafür ausgesprochen, Flüchtlinge vorrangig nicht in Sammelunterkünften, sondern dezentral unterzubringen. Sammelunterkünfte seien nur als Übergangslösung anzusehen, heißt es in dem Beschlusstext.

■ Vom Senat forderten die SPD-Delegierten einen „Masterplan zur Unterbringung von Asylbewerber*innen“ und eine Ombudsstelle. Der Senat solle zudem öffentlich an Vermieter appellieren, an Asylbewerber zu vermieten. Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sollen nach dem Willen des Parteitags eine größere Zahl von Asylbewerbern und Geduldeten aufnehmen.

■ Unmut hatten zuvor Pläne des Landesamts für Gesundheit und Soziales erregt, Flüchtlinge auch in Traglufthallen unterzubringen. Der SPD-Beschluss enthält aber kein ausdrückliches Veto dagegen, auch der Begriff „Traglufthalle“ oder „Zelt“ kommt darin nicht vor. Private Räume müssten abschließbar sein. (sta)

VON STEFAN ALBERTI

Es ist kurz vor halb elf Uhr, als beim SPD-Landesparteitag im Congress-Centrum am Alexanderplatz die entscheidenden Worte fallen. Sie kommen nicht von den Hauptpersonen des Tages. Weder der zu verabschiedende Noch-Regierende Klaus Wowereit noch der später einstimmig zum designierten Nachfolger nominierte Michael Müller sagt sie, sondern Parteichef Jan Stöß. „Ich versichere dir meine persönliche Unterstützung“, erklärt er in Müllers Richtung. Es ist ein Treueschwur gegenüber dem Mann, dem er beim Mitgliedervotum um die Wowereit-Nachfolge um Längen unterlag. Aber nicht nur er allein, nein, die gesamte Partei werde Müller unter die Arme greifen.

Es ist nicht mehr und nicht weniger als ein Lehenseid, den Stöß leistet. Er wäre selbst gern Regierender Bürgermeister geworden; er hielt sich für den besseren Mann für diesen Posten und tut das wahrscheinlich noch immer. Seinen Treueschwur könnte man als Einknicken sehen, als Festhalten an einem Posten nach einem parteiinternen Wahlkampf, bei dem sich allen Fair-play-Beteuerungen zum Trotz die Tiefschläge mehrten.

Wenn man sich an diesem Samstag aber unter den Delegierten umhört, so kommt das dort nicht so an. Da klingt auch Respekt heraus vor Stöß’ Loyalität. Wenn er jetzt hingeworfen hätte, hätte das neue Aufregung in die Partei gebracht, statt die Gräben zuzuschütten, sagen manche. Und fast alle Redner mahnen: Die nächste Abgeordnetenhauswahl 2016 wird für die SPD trotz dreier Wahlsiege in Folge und jüngster Zugewinne in Umfragen kein Selbstläufer.

Sie schwenken die Arme

So geben sie sich freundschaftlich, die drei einstigen Konkurrenten Müller, Stöß und Fraktionschef Raed Saleh, samt dem Noch-Regierenden Wowereit als Übervater. Hand in Hand stehen sie auf der Bühne vor dem Parteitag, schwenken sogar die Arme, als die SPD-Gesangstruppe „Vorwärts-Liederfreunde“ die rund 230 Delegierten einstimmt. „Brüder, in eins nun die Hände“, gibt die passende Textzeile aus „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“ vor. Stöß und Müller lachen sich dabei sogar an, neben sich den abdankenden Regierenden. Wowereit ist von den vieren der am wenigsten Sangesfreudige, während Saleh mit so viel Spaß dabei ist, dass er auch den Vorsänger geben könnte. Aber nur musikalisch. Politisch hat Saleh Müller schon direkt nach dessen Sieg im Mitgliedervotum vor drei Wochen seiner Loyalität versichert.

Dieser Müller, den nun in einem letzten Schritt am 10. oder 11. Dezember das Abgeordnetenhaus zum Regierungschef wählen soll, steht ein bisschen verloren da, als er wenig später vor das Mikrofon tritt. Die Partei hat gerade Wowereit mit minutenlangem Applaus bedacht, für seine Rede und für 13 Jahre als Regierungschef. Lässig mit bis zum dritten Knopf geöffneten weißem Hemd, guter Gesichtsfarbe, die sich von seinem silbergrauen Haar absetzt, elanvoll wie zuletzt nicht immer, hat Wowereit sich verabschiedet und wie als Vermächtnis Geschlossenheit angemahnt. „Konflikte tragen wir bitte intern aus, nicht nach außen.“

Wie sollte Müller reden nach einem solchen Auftritt, nach solchem Beifall? Blass, mit konservativer grau-blau-gestreifter Krawatte, mit spiegelnden Brillengläsern ist Müller in diesem Moment der leibhaftige Gegenentwurf zu Wowereit. Wie ein Controller neben dem Kreativdirektor. Der Noch-Regierende hatte Minuten zuvor vorgewarnt: „Michael Müller ist nicht Klaus Wowereit. Und das ist auch gut so.“ Das Glamourhafte, das man bei Müller vermisse – „habt ihr vergessen, dass mir diese Glamourhaftigkeit immer um die Ohren gehauen wurde?“

Fast alle Redner mahnen: Die nächste Parlamentswahl im Jahr 2016 wird für die SPD kein Selbstläufer

Kritik am Innensenator

Der Glamourfreie beginnt tatsächlich nüchtern, redet sich aber schnell warm. Er wettert gegen Rechtspopulisten, wirbt für Olympia, zeigt sich verständnislos gegenüber dem Stillstand am BER und sagt unter großem Applaus Flüchtlingen gute Unterkünfte zu. Und holt dann gegen Innensenator Frank Henkel aus, Chef des Koalitionspartners CDU. Der gehe mit der Haltung durch die Stadt: „Wer nichts macht, macht auch nichts falsch.“ Aus Müllers Umfeld ist zu hören, dass das auch eine Reaktion darauf ist, dass Henkel jüngst posaunte, mit Wowereit und dem ebenfalls abtretenden Finanzsenator Ulrich Nußbaum verliere die SPD ihre profiliertesten Leute.

Müller wird lauter, gestenreicher. Ob ihm Stöß’ Treueschwur nicht reicht oder er die Botschaft schlicht verstärken will – er drängt wiederholt auf Solidarität in Fraktion und Partei. Fast eine Stunde spricht er, nichts erinnert mehr an den blassen Erbsenzähler, der ans Mikro trat. Es steht ein entfesselter Redner am Pult, der auf den Schluss- und Höhepunkt seiner Rede zusteuert: „Wer nach diesem Mitgliedervotum noch immer meint, Sand ins Getriebe streuen zu müssen – bitte ab in die Buddellkiste. Ich hab dafür keine Zeit und keine Nerven.“