Die neuen Fluchthelfer

GRENZENLOS Wie Bürger der Flüchtlingspolitik den Kampf ansagen – mit Bolzenschneider und Taekwondo

Über den roten Teppich zum Stacheldraht: Bepackt mit einem schweren Rucksack, sitzt Daniel (24) auf den Stufen zum Berliner Maxim Gorki Theater. Er guckt skeptisch. Gerade verschwinden die letzten Sonnenstrahlen über den Dächern, Trommelwirbel ertönt. Daniel springt auf und latscht über den abgewetzten Teppich zu den Bussen, die ihn an die bulgarische Grenze bringen werden. „Ich habe einen Heidenrespekt“, gesteht er.

Er ist einer von 100 meist jungen Freiwilligen und Künstlern, die dem Schlachtruf des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS) gefolgt sind, die europäische Mauer einzureißen. Polizisten filzen das Gepäck nach gefährlichen Gegenständen. Zugleich prasseln Parolen von zahlreichen Unterstützern und Schaulustigen auf sie ein. „Die Mauer muss weg“, fordern sie – 25 Jahre nachdem die Mauer fiel.

Sind Daniel und seine Mitstreiter die Fluchthelfer von heute – gar die neuen Mauerhelden? So verspricht es die Website der Gruppe: mit dem Bolzenschneider Grenzen beseitigen, Flüchtlingen den Weg nach Europa ebnen. „Die Aktion ist zum Scheitern verurteilt“, meint Daniel und spielt mit der Zigarette in seiner Hand. Es gehe aber darum, ein Zeichen zu setzen und Schlagzeilen zu machen. „Wir sind Humanisten, keine Linksradikalen.“

Die Aktion der Aktivisten vom ZPS findet Ursula Groos (43) vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein e. V. mutig. Etwas abseits vom Publikum steht sie mit einem leuchtend roten Banner. „Wir sind der Staat“, sagt sie mit Überzeugung, „die Politiker allein können auch nichts erreichen.“ Gegen 14 Uhr kommen die zwei Busse ins Rollen. Zurück bleiben teils ratlose Passanten. Alles schön und gut hier, aber was macht man mit den neuen Flüchtlingen?

In den Köpfen der Berliner rumort es. Das Asyldilemma ist an jenem Freitagabend im Rathaus Zehlendorf Thema. Der Bürgersaal ist stickig und berstend voll, die Stimmung gespannt. Zwei neue Containerwohnheime sollen im Bezirk errichtet werden. Pingpongartig läuft die hitzige Debatte über die Köpfe der Migranten hinweg. Ein Mazedonier ruft dazwischen, aber keiner versteht, was er sagt. Um wen geht es hier eigentlich?

Im Foyer steht ein Mann mit dunklem T-Shirt, quer über der Brust leuchtet der Schriftzug Taekwondo. Der Name ist Programm: Seit über drei Jahren bietet Selahattin Turap (41) ehrenamtlich den Kampfsport für deutsche und ausländische Jugendliche an der Berliner Beethovenschule an. „Sport verbindet. Deshalb will ich die Flüchtlingskinder mit in mein Projekt aufnehmen. Wer sich nicht um die Kids kümmert, muss sich später nicht wundern.“ Turap glaubt, dass eine neue Flüchtlingswelle auf uns zukommt. Da müssen wir gewappnet sein, mahnt er. Im Saal schnellen Hände in die Höhe, das Bedürfnis, mitzuhelfen, überhaupt irgendetwas zu tun, ist groß.

Am 9. November, am Tag des Mauerfalls, treffen die Busse des ZPS an der bulgarischen Grenze ein. Bolzenschneider und andere Werkzeuge sind von der Polizei in Serbien beschlagnahmt worden. „Werden von der Polizei bewacht und beschützt“, simst ein Mitfahrender. „Die Stimmung ist nicht schlecht, aber es sind noch viele Fragezeichen da.“

FRANCA FORTH, CLARA KIESBYE