Jukebox

Und immer wieder geht die Sonne auf (im Osten)

„Wo ist zu Hause, Mama?“, fragte mal Johnny Cash. Gar nicht so leicht zu sagen. Vielleicht findet man’s am leichtesten, wenn man dort nachschaut, wo man sich auskennt. Daheim, Leute. Daheim!

In diesem Zusammenhang ist es schön, mit Keimzeit eine Band an der Hand zu haben, mit der sich dieser besondere Mutterboden gleich mehrfach sortiert sondieren lässt. Da ist erst mal Daheim, ganz eng im Familienkreis, und wenigstens in ihren frühsten Jahren handelte es sich bei Keimzeit um eine reine Geschwisterband: lauter Leisegangs. Ein Phänomen wie bei den Beach Boys, der Kelly Family, den Swell Maps, was für eine weitere Theoriebildung aber auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden soll (wie viel Familie tut dem Rock gut?), weil die Band natürlich noch auf geschichtsträchtigerem Boden steht. Dem aufgegebenen Terrain der Deutschen Demokratischen Republik.

Berlin. Magdeburg. Erfurt. Rostock. Leipzig. Dresden. Der Tourplan von Keimzeit, jetzt zum 25-jährigen Bestehen der Band. Darf man schon sagen, dass das aus gesamtdeutscher Perspektive ein ostlastige Angelegenheit ist. Tatsächlich erspielte sich Keimzeit in den 80ern im heimischen Brandenburg eine treue Fangemeinde, ihr erstes Album aber erschien erst 1990, und ihre größten Erfolge feierte Keimzeit in der ersten Nachwendezeit, während ihre lang gedienten DDR-Kollegen von den Puhdys, City oder Electra ins Loch der Wiedervereinigung fielen und jammerten, dass sich in diesem neuen Deutschland niemand mehr für die verdienten Rocker des Volkes interessieren würde. Aber das Volk wollte halt in den neuen Mediamärkten Platten und Bands aus dem Westen, gab’s ja in der Zone kaum. Bis es sich so drei, vier Jahre nach Mauerfall daran erinnerte, dass es doch auch eine alte Heimat verloren hatte, die dann mit dem alten Ostrock wieder so schön vertraut im Ohr lag. In der Rückbesinnung ist es daheim am schönsten.

Ja. Die DDR musste untergehen, damit der Ostrock weiter existieren konnte. Tatsächlich sind die Puhdys, City oder Electra die wirklichen Wendegewinner, denn wer erinnert sich noch an ihre westdeutschen Zeitgenossen von Birth Control, Guru Guru, Jane und so weiter? Wenn nicht gestorben, so doch überlebt. Ostrock gibt es. Westrock nicht. Ein paar Jahre noch, dann ist es damit aber auch vorbei. Tokio Hotel zum Beispiel: Die kommen zwar aus Magdeburg, aber deswegen noch lange nicht aus dem Osten. THOMAS MAUCH