berliner szenen Anfang und Ende

Erzähltechniken

Samstagabendbier in Prenzlauer Berg. Ein Haufen Kleinkünstler sitzt friedlich um den runden Tisch hinten in der Kneipe – dort, wo es zu den Toiletten geht. Anfangs haben sie sich noch Gedichte vorgelesen. Jetzt aber liegt das Niveau längst irgendwo unterm Tisch und kommt nicht wieder hoch.

„Ich erzähl euch was“, droht ein Mann mit Schirmmütze und setzt sich ungefragt dazu. Es sieht aus, als müsse er seine Beine durchzählen, bevor er sie geordnet bekommt. Sein Hosenstall lächelt in die Runde. Der Kumpel des Erzählers tritt hinzu, stellt sich mit dem Rücken zur Wand, die Bierflasche als Stütze. „Also“, sagt der Erzähler und wirft gestenreich die Arme in die Luft, „treffen sich drei Tiere im Wald“. Steffi kichert schon. Hendrik hat sein „Interessant“-Gesicht aufgesetzt. Ein Pärchen beginnt zu knutschen.

Doch die Geschichte zieht sich, die Pointe entgleitet in unerreichbare Ferne. Irgendwann hat der Erzähler sich völlig in den Strängen seiner Fabel verheddert. Niemand bringt mehr die Kraft zum Zuhören auf. Steffi hat schon Schluckauf vom Lachen bekommen, Hendrik ist fast eingeschlafen, das Pärchen zieht sich bald aus.

Und der traurige Zinnsoldat, der das Geschehen bisher als stummer Schatten an der Wand verfolgt hat, zieht dem Erzähler die Bierflasche über den Schädel. Einfach so. Scherben fliegen und Flüssigkeiten fließen, das Polster der Erzählermütze verhindert ein Blutbad. Alle schreien durcheinander, und keiner weiß, was eigentlich passiert ist.

Eine Geschichte muss Anfang, Mitte und Ende haben. Aristoteles wusste das, Brecht wusste das auch. Und die Kleinkünstler wissen nun, dass sie andernfalls mit ihrem Leben spielen.

LEA STREISAND