Das verdiente Glück

KUNST Frankreich gewinnt im Elferschießen gegen England und steht im Halbfinale. Zweiter Sieger: der schöne Fußball

„Wir haben miteinander gesprochen. Ich habe ‚lala‘ gesagt. Und sie ‚leli‘ “

BRUNO BINI, TEAMCHEMIKER

AUS LEVERKUSEN ANDREAS RÜTTENAUER

England kann es nicht. Die Frauen können es genauso wenig wie die Männer. Dabei hatten sie Elfmeter trainiert, wie Trainerin Hope Powell nach dem Viertelfinalaus gegen Frankreich erzählte. Genutzt hat es nichts. Die beiden letzten Schützinnen haben nicht getroffen. Claire Rafferty schob den Ball daneben, und die „wunderbare“ (Powell) Kapitänin Faye White drosch den Ball an die Latte. Aus. 4:3 gewann Frankreich das Elfmeterschießen. Englisches Unvermögen? Französisches Glück? Davon sprach hinterher niemand. Denn alle waren sich einig – auch Hope Powell lobte die Gegnerinnen –, Frankreich hatte es verdient. Fußball hatte gegen England gewonnen.

Auch die Französinnen hatten vor dem Viertelfinale Elfmeter trainiert. Sie wollten nicht noch einmal so baden gehen wie bei der Europameisterschaft 2007. An das Viertelfinalaus gegen die Niederlande erinnerten alle Französinnen, die sich nach der Partie äußerten. Auch damals sei man die bessere Mannschaft gewesen, sei ähnlich überlegen gewesen wie am Samstag in Leverkusen vor über 26.000 Zuschauerinnen. Und dann ging das Elfmeterschießen verloren. Auch deshalb bezeichnete Camille Abily, Frankreichs an diesem Tag herausragende Akteurin, die Partie gegen England als „echt stressig“. Sie erzählte auch von ihrem Strafstoßtraining. Einen habe sie getroffen, einen danebengesetzt. „Heute habe ich dann in die andere Ecke gezielt, und das war wieder schlecht.“ So schlecht, dass Englands Torhüterin Karen Bardsley den Ball fing. Frankreichs Beste wäre um ein Haar zur tragischen Figur des Spiels geworden.

Auch Bruno Bini erinnerte an das EM-Aus gegen die Niederlande. „Das sind Spiele, in denen man 20 Jahre altert“, sagte der 56-Jährige. Das liege am Ergebnis. Auch am Samstag war es nervenaufreibend. Aber diesmal hat Frankreich gewonnen. Bini: „Da fühle ich mich gleich zehn Jahre jünger.“ Lange Zeit wähnte er sich „im falschen Film“, dachte vielleicht doch schon ans Altern. Bis zur 88. Minute musste er warten, bis endlich eine der Seinen, Elise Bussaglia, getroffen hatte. Sein in beinahe allen Belangen überlegenes Team, das sich so schnell, ballsicher und passsicher zeigte, dass es eine wahre Freude war, lag absurderweise seit der 57. Minute hinten. Aber Bini glaubte an sein Team. Und sein Team glaubte an sich. Nach einem Sieg sagt sich das leicht. Camille Abily: „Wir hatten immer die geistige Kraft.“ Und: „Wir sind Profis. Deshalb ist der Glaube an uns selbst in unseren Köpfen fest verankert.“

Profis sind auch die meisten englischen Spielerinnen. In der Verlängerung sah man indes nur wenig davon. Am Ende ihrer Kräfte waren die meisten, schleppten ihre müden Beine humpelnd über den Platz, während die Französinnen weiter anrannten, als könne ihnen nie die Puste ausgehen. Ein Lob für die Fitness seines Teams wollte Bruno Bini nicht annehmen. Da sei in den Vereinen, in der langen Saison, einfach gut gearbeitet worden. Auch in der Nationalmannschaft sei er nicht für die Fitness zuständig, kümmert sich auch nicht um das Regenerationstraining. Deshalb hatte er am Tag nach dem Viertelfinalerfolg frei. „Die anderen müssen arbeiten, ich nicht.“

Er versteht sich als Teamchemiker, stellt sich so dar, als wäre er so etwas wie der Gute-Laune-Onkel der Fußballerinnen, derjenige, der den Klebstoff anrührt, mit dem das Team zusammengehalten wird. „So einfach ist das nicht“, sagte er am Samstag und stellte klar, dass seine Spielerinnen zwar auf dem Platz harmonieren würden, mit echter Freundschaft habe das aber noch lange nichts zu tun.

Bini zitierte seinen Freund Claude Onesta, den Trainer der französischen Handballnationalmannschaft: „Man gewinnt nicht, weil man sich liebt. Man gewinnt, und dann liebt man sich.“ Es war einer jener Sätze, die Bruno Bini den Journalisten immer wieder wie eine Art Hausaufgabe zuwirft: Dann denkt mal schön drüber nach. Und was macht er wirklich? Nach dem Schlusspfiff hat er mit seinen Spielerinnen einen Kreis gebildet. „Wir haben miteinander gesprochen“, berichtete Bini. Und was? „Ich habe ‚lala‘ gesagt. Und sie ‚leli‘.“ Hat da der Weltmeisterinnenmacher gesprochen?