Editorial
:

Aids ist von den Amerikanern mit einer Virenbombe geschickt worden, um Russlands Männer zu schwächen, auf dass sie schwul werden und keine Kinder zeugen. Lesben sind Frauen, die irre sind, aber wenigstens können sie noch Kinder kriegen, nur müssten sie die Zeugungswerkzeuge von Männern wieder schätzen lernen. Gott, ob der russisch-orthodoxe, der katholische oder der evangelische, habe Adam & Eva geschaffen, nicht Adam & Sergej, auch nicht Ewa & Anna.

Solche Sätze fallen, hört man den Menschen in jenen Ländern zu, die bis Anfang der 90er-Jahre hinter dem Eisernen Vorhang saßen. Nicht dass es unter uns, im Westen Europas, nicht ähnliche Mutmaßungen über Homosexuelle gäbe. Aber sie werden nicht so aggressiv und unverblümt geäußert wie in Polen, Lettland, Litauen, in Russland oder der Slowakei.

Weshalb der Hass auf Homosexuelle in all diesen Ländern so kommod geäußert werden kann, weshalb Lesben wie Schwule tatsächlich Parias sind, nicht einmal in Metropolen wie Riga, Moskau, Warschau oder Bratislava unangefochten auftreten können, ist umstritten. Womöglich verhält es sich so: Jene Länder sind mit einer marktwirtschaftlichen Modernisierung konfrontiert, die Angst macht. Homosexuelle verkörpern all das, was jetzt wichtig ist – mobil zu sein, selbstverantwortlich, in kein Kollektiv einzugemeinden. Selbstverständlich glaubt niemand in Osteuropa, Homosexuelle habe es im Sozialismus nicht gegeben, aber dass sie nun offen aufzutreten beginnen, macht viele wütend, manche rasend.

Dass diese menschenrechtswidrigen Verhältnisse geändert werden können, muss schon aus dem Grund angenommen werden, weil es in Deutschland auch anders werden konnte – mutig und hartnäckig zugleich haben Homosexuelle seit über dreißig Jahren daran gearbeitet, die Verhältnisse zu ihren Gunsten zu lockern. Sie tun es noch: Homosexualität ist keine Frage eines Lifestyles, sondern ein Menschenrecht, ein politisch erkämpftes.

Dieses taz.mag lässt die Verhältnisse in Osteuropa sprechen. Berichte aus Usbekistan, Stimmen aus Moskau, aus russischer Perspektive im modernen Berlin, aus den polnischen Abgründen des „gesunden Volksempfindens“. Die Fotografien sind Dokumente des Hasses und der wachsenden Selbstbehauptung – entnommen Nicole Volperts Film „14 Grad ostwärts“, einer Dokumentation über die HeldInnen, die 2006 den CSD von Krakau organisierten und sich nationalistisch-christlicher Gewalt erwehren mussten.