Darf Wolf Biermann so auftreten?

Mauergedenken im Bundestag: der ehemalige Protestsänger sorgt für erregte Debatten

Natürlich ist Wolf Biermann ein Provokateur. Seinen Antiautoritarismus hat er sich glücklicherweise all die Jahrzehnte bewahrt. Jetzt rettete er den Bundestag davor, in der Langeweile weitgehend belangloser Sonntagsreden zu versinken.

Niemand möchte bestreiten, dass die politischen Erben des SED-Regimes eine politische Repräsentanz im demokratischen Deutschland haben sollen. Auch Wolf Biermann nicht. Sein Satz aber: „Ihr seid weder links noch rechts, sondern reaktionär“, trifft jene Partei ins Herz, die den Begriff „links“ für sich instrumentalisiert hat. Und hinter der Fassade einer im politischen Hier und Jetzt angekommenen Partei verbergen sich immer noch auch die Schleimer und Spitzel, die kalten Bürokraten und Richter, Staatsanwälte, Generäle und Polizisten von damals, die bis heute darauf beharren, nach Recht und Gesetz gehandelt zu haben – das kennen wir im Westen von ehemaligen Nazis wie dem Altrichter Filbinger.

Der „aufrechte Gang“ (Ernst Bloch) von Che Guevara bis zur „Ermutigung“ brauchte damals keine Etikette, kein Schwindelemblem, um von den „Unterdrückten und Gedemütigten“ und den (antiautoritären) Linken in Ost und West gehört zu werden. Der „demokratische Sozialismus“ war mit dem Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 politisch tot. Wer als Linker in Ost wie West aufrecht gehen wollte, musste sich fortan mit diesem „real existierenden Sozialismus“ anlegen.

Das verbindet zum Beispiel auch die westlinke Ikone Rudi Dutschke, der aus dem Osten stammt, mit der Ostikone Biermann, der aus dem Westen kommt. Dutschke stellte in seinen Schriften Lenin vom Kopf auf die Füße, Biermann sägte langsam, aber stetig an den Grundpfeilern des stalinistischen Systems der DDR. Der Versuch, 1973 eine gemeinsame Ost-West-Initiative aufzubauen, scheiterte an den Geheimdiensten beider Seiten.

Um aufrecht zu bleiben, hätte es durchaus gepasst, im Parlament auch über die CDU (und die inzwischen abwesende) FDP zu sprechen. Haben nicht diese Parteien klammheimlich die Blockparteien CDU und LDPD im Osten mit ihren Mitläufern, Denunzianten und all ihren schönen Liegenschaften usurpiert? Wäre das für den scharfzüngigen Barden nicht auch ein Thema gewesen? Biermann hat in dieser Wunde nicht gerührt. Einem Poeten und Sänger kann man zwar nichts vorschreiben. Vor irgendeiner Macht zu buckeln, liegt ihm nicht. Aber irgendwie reicht der alte Kampfgeist nicht zum Rundumschlag.

An innerdeutschen Grenzen wird nicht mehr geschossen, doch sterben Menschen an der neuen Mauer, den Außengrenzen der EU. Wer heute aufrecht gehen will, muss sich über diesen Zusammenhang klargeworden sein. Eine Gruppe junger Leute zeigte, wie es geht: Zwar fanden viele die Aktion mit den entwendeten Gedenkkreuzen geschmacklos, doch die Aktionisten von der „politischen Schönheit“ haben allzu selbstgefällig Feiernde mit der Wirklichkeit von heute konfrontiert. Die antiautoritäre Tradition der politischen Provokation ist wieder aufgelebt. Mit und ohne Biermann.

ERICH RATHFELDER

Es ist gar nicht so leicht zu entscheiden, was an Wolf Biermanns Auftritt im Bundestag den größten Anlass zum Fremdschämen bot. Denn erstens delirierte Biermann: „Mein Beruf war doch Drachentöter“, und ein solcher könne schließlich „nicht mit großer Gebärde die Reste der Drachenbrut tapfer niederschlagen“, nur um es mit großer Gebärde – allerdings eher wenig tapfer – eben doch zu tun und die im Bundestag anwesenden Vertreter der Linkspartei als „den elenden Rest dessen, was zum Glück überwunden ist“ zu dissen.

Drachenbrut? Angesichts des Zustands der marginalisierten Opposition in Zeiten der Großen Koalition wäre es treffender, von armen Würmchen zu sprechen; so ergibt das Bild auch Sinn, denn dann wäre Biermann kein Drachentöter, sondern der nach unten pickende eitle Gockel, der er nun einmal ist.

Und der sich, zweitens, dabei auch noch in eine unappetitliche Siegerpose wirft, wenn er zu den Linken sagt: „Ihr seid dazu verurteilt, das hier zu ertragen. Ich gönne es euch.“ Womit er sogar recht hat, denn dass in der DDR allerhand schiefgelaufen ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie Gestalten wie Biermann hervorgebracht hat, die ein Vierteljahrhundert nach Mauerfall immer noch ein solcher verbittert wirkender Hass auf die alten Gegner umtreibt. Wobei Biermann putzigerweise direkt im Anschluss singt: „Du, lass dich nicht verbittern, in dieser bittren Zeit“, und dabei offenbar so gar nichts bemerkt.

Drittens leidet Biermann an einer respektablen Hybris. Er reklamiert für sich, die Mauer quasi im Alleingang eingerissen zu haben. So ruft er den Linken zu: „Ich habe euch zersungen mit den Liedern, als ihr noch an der Macht wart“ – als habe er nicht nach seiner Ausbürgerung 1976 vor allem die Nerven der Westdeutschen zersungen und, schlimmer noch, zerredet. Auch so ein Unrecht der deutschen Teilung, über das heute niemand mehr spricht.

Und viertens schließlich geriert sich Biermann als nach wie vor unbeugsamer Rebell, obwohl er von der Staatsspitze einzig zu dem Zweck exhumiert wurde, die ohnehin schon bedeutungslose Linken-Fraktion weiter zu demütigen. Während er also für die Regierung den nützlichen Idioten gibt, tut er so, als befinde er sich damit im Widerstand.

Auf den folgenlosen Hinweis von Bundestagspräsident Norbert Lammert, er sei zum Singen und nicht zum Reden eingeladen, erwiderte er: „Das Reden habe ich mir in der DDR nicht abgewöhnt und werde das hier schon gar nicht tun.“ Da hat er sich ja was getraut!

Biermann hätte die Chance gehabt, wirklich mutig zu sein. Statt längst geschlagene Schlachten mit den Nachkommen der Machthaber von gestern zu führen, hätte er auf die Toten an den EU-Außengrenzen hinweisen können, die die aktuelle Mauerpolitik zur Folge hat. Dafür hätte es allerdings vermutlich keinen johlenden Applaus der Bundestagsmehrheit gegeben.

So blieb es dem „Zentrum für politische Schönheit“ vorbehalten, Dissidenz zu zeigen, während Biermanns Geplänkel für die herrschende politische Hässlichkeit steht. HEIKO WERNING