Ein klares Votum für die Unabhängigkeit

KATALONIEN Regionalpräsident Mas will jetzt mit Madrid über ein echtes und anerkanntes Referendum verhandeln. Doch die spanische Regierung stellt sich stur. Die Folge könnte eine Radikalisierung sein

AUS MORA LA NOVA REINER WANDLER

Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung hat am Sonntag 2,2 Millionen der insgesamt 5,4 Millionen katalanischen Wahlberechtigten zu einem „Bürgerbeteiligungsprozess“ an die Urnen gebracht. 80,7 Prozent stimmten für die Loslösung von Spanien, 10,1 Prozent sprachen sich für die Bildung eines katalanischen Staates aus, der aber weiterhin zu Spanien gehören sollte. Nur 4,6 Prozent der Wähler lehnten jedwede Veränderung ab. Die einzige Bedingung für die Teilnahme an der Abstimmung war ein Mindestalter von 16 Jahren und ein fester Wohnsitz in der Region.

Abgestimmt wurde über die Fragen, die eigentlich für ein verbindliches Referendum über die Zukunft der nordostspanischen Region vorgesehen war. Doch die konservative Regierung unter Mariano Rajoy in Madrid ließ dies vom Verfassungsgericht stoppen. Die Bürgerbefragung war die katalanische Antwort. „Wir haben einen Riesenschritt gemacht, um mit Freiheit und allen Garantien über unsere Zukunft zu entscheiden“, erklärte der Präsident der katalanischen Autonomieregierung, Artur Mas, nachdem die Wahllokale schlossen. Einmal mehr verlangte er von der Madrider Zentralregierung ein echtes Referendum. Darüber will er jetzt mit Madrid verhandeln.

Doch der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy will nichts davon wissen. „Solange ich Regierungschef bin, wird man die Verfassung und die Souveränität respektieren, und niemand wird die Einheit Spaniens zunichte machen“, sagte Rajoy am Vorabend des Urnengangs. Sein Justizminister Rafael Catalá sprach von einer „nutzlosen Übung“ und hielt die Staatsanwaltschaft erneut an, zu überprüfen, inwiefern der Urnengang vom Sonntag ein Verstoß gegen die Anordnungen des Verfassungsgerichts sei und die Organisatoren deshalb gerichtlich zur Rechenschaft gezogen werden können.

Ein Großteil der Presse – sowohl in Katalonien als auch in Madrid – rief am Montag beide Streitparteien zu Verhandlungen auf. Gespräche scheint es seit Wochen zu geben. Politiker aus dem Umfeld der Autonomieregierung und der beiden großen Parteien in Madrid, PP und die sozialistische PSOE, treffen sich, jedoch ohne Erfolg.

Falls Mas, wie abzusehen, mit seinem Ansinnen scheitert, ein rechtlich verbindendes Referendum auszuhandeln, bleibt ihm wenig Spielraum. Seine nationalistische Mitte-rechts-Wahlkoalition CiU regiert mit einer Minderheit und wird von der Republikanischen Linken, ERC, unterstützt. Diese verlangt vorgezogene Neuwahlen, bei denen alle Parteien, die sich für die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien starkmachen, mit ebendiesem Programmpunkt antreten. Bei einer Mehrheit will die ERC einseitig die Unabhängigkeit verkünden. Mas zögert, Wahlen einzuberufen. Umfragen zufolge dürfte er verlieren. Die ERC profitiert von der Unterstützung der Unabhängigkeitsbestrebungen wesentlich mehr und könnte stärkste Partei werden.

Katalonien verfügt mit seinen 7,5 Millionen Einwohnern über eine eigene Sprache und Kultur sowie über weitreichende Autonomierechte. Unter der Franco-Diktatur (1939–1975) war der Gebrauch des Katalanischen in der Öffentlichkeit unterdrückt worden. Jetzt ist Katalanisch ebenso Amtssprache wie Spanisch.