Im Schnellverfahren ins Gefängnis

Gerichte können potentielle Straftäter zeitnah und ohne aufwendige Beweisaufnahme aburteilen – mit dem „beschleunigten Verfahren“. So kamen Demonstranten unmittelbar nach den G-8-Protesten in Rostock in Haft

Der Republikanische Anwaltsverein (RAV) hatte für die Proteste in Heiligendamm einen anwaltlichen Notdienst organisiert. Für die Demonstranten, die Hilfe in Anspruch genommen haben, bittet der RAV um Spenden:

RAV e. V., Postbank Hannover, BLZ 250 100 30, Kto: 900 43 01. Kennwort: Spende G8

Acht Personen wurden nach den Ausschreitungen auf der Anti-G-8-Demonstration in Rostock im Schnellverfahren abgeurteilt, darunter vier Demonstranten, die aus dem Ausland angereist waren. Sie erhielten Haftstrafen zwischen sechs Monaten mit und zehn Monaten ohne Bewährung wegen schweren Landfriedensbruchs und – versuchter – gefährlicher Körperverletzung.

Das „beschleunigte Verfahren“ ist nach der Strafprozessordnung zulässig, wenn „die Sache zur sofortigen Verhandlung geeignet ist“ – das ist bei einem einfachen Sachverhalt und klarer Beweislage zu bejahen. Eine klare Beweislage liegt etwa bei einem Geständnis oder lückenloser Beweiskette vor. Ein einfacher Sachverhalt kann gegeben sein, wenn nur eine einzelne Straftat angeklagt ist. Bei Jugendlichen ist das beschleunigte Verfahren unzulässig.

Das Verfahren erfolgt auf Antrag der Staatsanwaltschaft. Das Gericht kann dann sofort, spätestens nach sechs Wochen, die Verhandlung durchführen. Die Anklage kann auch mündlich erfolgen. Das Gericht kann Geldstrafen oder Freiheitsentziehung bis zu einem Jahr verhängen. Ist eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zu erwarten, ist ein Verteidiger vorgeschrieben.

Die Beweiserhebung ist im Schnellverfahren eingeschränkt. Wurde der Täter „auf frischer Tat“ angetroffen, kann die Polizei ihn festnehmen, wenn eine Entscheidung im beschleunigten Verfahren zu erwarten ist. Es darf ein Haftbefehl für höchstens eine Woche ergehen zur sofortigen Durchführung der Hauptverhandlung.

Die Angeklagten können das Schnellverfahren nicht ablehnen. Sie können nur der vereinfachten Beweisaufnahme widersprechen, bei der die Zeugenvernehmung durch die Verlesung von Einsatzberichten oder Protokollen der Polizei ersetzt werden darf. Gegen das beschleunigte Verfahren sind die üblichen Rechtsmittel möglich: Berufung und Revision. Stellt das Berufungsgericht fest, dass sich die Sache nicht für das beschleunigte Verfahren eignet, wird das Urteil des Schnellverfahrens aufgehoben. Dann kommt es zur normalen Hauptverhandlung.

Von Strafverteidigern und Bürgerrechtlern wird die Regelung des Schnellverfahrens kritisiert, weil ein „kurzer Prozess“ zu ungerechten Ergebnissen in einer öffentlich aufgeladenen Situation führen kann. In Rostock ist ebenfalls deutlich geworden, wie die Schnellverurteilung politisch benutzt wird. Ein in Haft befindlicher Betroffener kann seine Verteidigung „in Eile“ nicht angemessen vorbereiten. Hier haben sich gerade die aus dem Ausland angereisten Demonstranten auf das Verfahren eingelassen, um nicht längere Zeit in Deutschland in Untersuchungshaft zu kommen. Die Beweislage war in allen Fällen nach Aussagen der Verteidiger lückenhaft.

ULRIKE DONAT

Die Autorin ist Rechtsanwältin und war Mitglied des RAV-Legal-Teams in Heiligendamm (siehe Kasten)