Opposition boykottiert nationalen Dialog

SYRIEN Reformkonferenz soll „pluralistischen, demokratischen Staat“ vorbereiten. Oppositionelle sehen keinen Sinn, solange noch geschossen werde. Schwere Vorwürfe von Human Rights Watch gegen Armee

DAMASKUS afp/dpa | Vier Monate nach Beginn der Proteste haben am Sonntag in Syrien Gespräche zum angekündigten nationalen Dialog begonnen. An dem zweitägigen Treffen in der Hauptstadt Damaskus nahmen neben Politikern der seit 1963 herrschenden Baath-Partei auch einige unabhängige Parlamentarier teil. Die Opposition boykottierte das Treffen jedoch. Sie begründete dies mit der Gewalt der Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten.

Den Vorsitz bei dem Treffen, das für zwei Tage angesetzt wurde, hatte Vizepräsident Faruk al-Scharaa. Al-Scharaa sagte, auch die Exiloppositionellen könnten am Dialog teilnehmen. Ziel der Gespräche sei es, aus Syrien einen „pluralistischen, demokratischen Staat“ zu machen.

Der Parlamentsabgeordnete Mohammed Habasch forderte die Abschaffung eines Gesetzes, das die Todesstrafe für Mitglieder der Muslimbruderschaft vorsieht. Er kritisierte, dass „Tausende ohne Prozess in den Gefängnissen sitzen“. Habasch bezeichnet sich als gemäßigten Islamisten, steht aber der Baath-Partei von Präsident Assad nahe.

Ein unabhängiger Teilnehmer des Dialogs, Tajjib Tisini, erklärte, es sei falsch, dass diese Konferenz begonnen habe, „während noch auf syrische Zivilisten geschossen wird, in Hama, in Homs und an anderen Orten“.

Nach Angaben von Menschenrechtlern sind bei den blutigen Unruhen schon mehr als 1.750 Menschen getötet worden, darunter etwa 350 Angehörige der Sicherheitskräfte. Allein am vergangenen Freitag sollen landesweit 15 Demonstranten von Sicherheitskräften erschossen und 200 Demonstranten festgenommen worden sein, darunter der Theaterregisseur Osama Ghanim. Die Demonstranten fordern den Rücktritt des Präsidenten und einen Machtverzicht der seit 1963 regierenden arabisch-sozialistischen Baath-Partei.

Unterdessen hat Human Rights Watch (HRW) schwere Vorwürfe gegen die syrische Armee erhoben. Soldaten und Sicherheitskräfte seien dazu gezwungen worden, auf Demonstranten zu schießen, berichtete die Menschenrechtsorganisation unter Berufung auf Aussagen von Deserteuren. Wer sich dem Schießbefehl widersetze, müsse damit rechnen, selbst getötet zu werden, berichtete HRW am Samstag unter Berufung auf Aussagen von Soldaten, die in den Libanon oder die Türkei geflohen sind. Ihre Vorgesetzten hätten ihnen gesagt, dass sie gegen „Eindringlinge, Salafisten und Terroristen“ kämpften, berichteten alle zwölf befragten Deserteure übereinstimmend. Sie seien „überrascht“ gewesen, stattdessen nur „unbewaffnete Demonstranten“ angetroffen zu haben.