„Ich gehe gern an die Grenzen“

Für Benoît Jacquots Film „L’intouchable“ ist sie nach Varanasi gereist, für die Französische Filmwoche nach Berlin. Ein Gespräch mit der Schauspielerin und Filmemacherin Isild Le Besco über das Alleinreisen, riskante Szenen und das Knöcherne an Indien

ISILD LE BESCO, geb. 1982, hatte ihre erste Filmrolle mit acht. Viele folgten, u. a. in Laetitia Massons „La repentie“ (2002), in Emmanuelle Bercots „Quelqu’un vous aime …“ (2003) und Benoît Jacquots „À tout de suite“ (2004). Ihr Regiedebüt „Demi-tarif“ (2003) handelt von drei Kindern, die von den Eltern in der Wohnung alleingelassen werden. Ihr zweiter Film, „Charly“, ist gerade abgedreht.

INTERVIEW BERT REBHANDL

taz: Frau Le Besco, in „L’Intouchable“ („Der Unberührbare“) arbeiten Sie zum dritten Mal mit Benoît Jacquot. Ist er ein besonders wichtiger Regisseur für Sie?

Isild Le Besco: Ja, es gibt zwei Filmemacher, mit denen ich häufiger zusammenarbeite: Benoît Jacquot und Emmanuelle Bercot. Es ist eine ideale Konstellation für einen Filmmacher, mit einer Schauspielerin immer wieder neu zu arbeiten und im Lauf der Zeit neue Sachen über sie herauszufinden.

In „L’Intouchable“ sind Sie eine Schauspielerin, Jeanne, die für eine Brecht-Aufführung probt und in einem Film spielt, dann aber recht abrupt nach Indien reist, um dort ihren Vater zu suchen. Wie ist es für eine Schauspielerin, eine Schauspielerin zu spielen?

Das gab mir eine Möglichkeit, einige Dinge auszuprobieren, die ich nie für einen ganzen Film brauchen werde. Brecht am Theater zu spielen und einen Monolog aus „Die Heilige Johanna der Schlachthöfe“ zu machen, dafür interessiert sich das Kino selten. Benoît Jacquot trachtet nicht danach, dass man als Schauspielerin besonders viel macht oder dass man sich etwas ganz Besonders einfallen lässt. Er möchte eine reale Person filmen und immer neue Dimensionen von ihr verstehen.

Hatten Sie vorher schon eine Beziehung zu Indien?

Ich bin ein Jahr vor den Dreharbeiten hingefahren. Ich habe den Film ja auch produziert, deswegen musste ich mich eingehend darauf vorbereiten. Seither bin ich häufig dort.

Was macht denn für Sie eine Charakteristik dieses Landes aus?

Ich weiß es nicht genau. Es gibt dort etwas, was ich als „knöchern“ bezeichnen würde, ein Leben, das auf das Skelett reduziert erscheint.

Im Film sind Sie häufig zu sehen, wie Sie querfeldein gehen. Fühlten Sie sich nie exponiert?

Ich hatte nie ein Problem. Ich bin in Japan, China, Indien gereist – man fällt natürlich auf, als weiße, blonde Frau, die allein ist. Aber man wird nie bedrängt, außer natürlich durch dieses Verhalten, das die Menschen allen Touristen gegenüber an den Tag legen.

Der Film hat einige zentrale, sehr intensive Szenen in Varanasi, der Stadt, die der Bestattungsrituale wegen bekannt ist.

Als ich zum ersten Mal dort war, wurde ich sehr krank, so krank, wie ich noch nie zuvor gewesen war. Ich bin fast gestorben. Es war alles ungeheuer schmutzig, und die Infektion ist mir in einem guten Hotel passiert. Ich war für zwei Wochen allein dort, und wollte um jeden Preis zurück, aber es ging nicht. Ich bin dann in den Norden gefahren, diese Gegend liebe ich seither besonders.

Aus Varanasi gibt es auch bedeutende Dokumentarfilme, zum Beispiel „Forest of Bliss“ von Robert Gardner. War das ein Vorbild bei den Dreharbeiten?

Ich mache selbst Filme, und ich finde es etwas Schönes, etwas von der Realität einzufangen. Heute tragen die Medien viel zu einer Konfusion bei, sie zeigen selten die Realität. Mein kommender Film, „Charly“, handelt von einem jungen Mann, der bei alten Menschen lebt. Es gibt da bei uns eine Regelung, dass alte Menschen Geld von der Regierung bekommen, wenn Sie jemand bei sich aufnehmen …

Wie in „L’enfance nue“ von Maurice Pialat?

Diesen Film liebe ich sehr; wenn ich mich an einem Werk gern messen lassen würde, dann ist es dieser. Der junge Mann in meinem Film liest „Frühlingserwachen“ von Wedekind, daraufhin verlässt er die Familie, schlägt sich als Autostopper durch, trifft ein junges Mädchen, eine Prostituierte, die sich zwei Tage lang ein wenig um ihn kümmert. Der Film erzählt deren Beziehung.

Eine Szene in „L’Intouchable“ zeigt Dreharbeiten zu einem Film. Der Regisseur und die Schauspielerin verhandeln über eine Nacktszene, Jeanne stellt viele Bedingungen. Fällt es Ihnen leicht, sich vor der Kamera zu entblößen?

In meinen frühen Filmen wollte ich das gar nicht machen, das habe ich Emmanuelle Bercot auch immer gesagt. Nun ist es ein wenig anders. Wenn es mich überzeugt, dass es für einen Film notwendig ist, dann bin ich dazu bereit.

Vertrauen Sie Benoît Jacquot in dieser Hinsicht uneingeschränkt?

Ich weiß es nicht. Für diesen Film habe ich es gemacht, und es war gut, aber auch riskant. Ich gehe gern an die Grenzen.

Auf der Berlinale lief vor eineinhalb Jahren der Film „Camping Sauvage“. Sie spielten darin eine leidenschaftliche Beziehung zu Denis Lavant, der häufig in „wilden“ Rollen besetzt wird. Wie war die Arbeit mit ihm?

Sie kennen ihn natürlich aus anderen Filmen, aber für mich war es nicht so eine ungewöhnliche Erfahrung, mit ihm zu arbeiten. Im Gegenteil, es war eine richtig gute Zusammenarbeit auf hervorragender professioneller Basis. Wie könnte er jemals eine andere Rolle spielen, einen Gentleman oder einen Geschäftsmann? Er ist durch sein Gesicht geprägt.

Gibt es französische Regisseure, mit denen Sie in der Zukunft gern arbeiten würden?

Nicole Garcia! Vor allem ihr neuester Film „Selon Charlie“ ist sehr gut. Aber im Prinzip hängt das rein vom konkreten Projekt ab.

Frankreich hat gerade zweimal gewählt. Viele Schauspielerinnen und Schauspieler haben sich im Wahlkampf engagiert. Sie sind 2002 für Lionel Jospin eingetreten. Was liegt Ihnen zurzeit besonders am Herzen?

Politisch bin ich nicht so engagiert. Ich bin ein Fan von Bertrand Delanoë, dem sozialistischen Bürgermeister von Paris. Er will alle Autos aus der Stadt verbannen und viel Raum für Fahrräder schaffen. Das gefällt mir. Es gibt auch ein buddhistisches Kloster in Sikkim, das ich unterstütze, vor allem die Kinder dort liegen mir sehr am Herzen.