die taz vor zwanzig jahren über die polizeiblockade während reagans berlin besuch
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In Berlin wurde während des Besuchs des US-Präsidenten ein Bezirk mit über 200.000 Einwohnern für Stunden von der Außenwelt abgeschnitten. Gleichzeitig trieb die Polizei im Berliner Stadtzentrum wahllos Bürger zusammen und hielt sie über Stunden hinweg fest. Polizeistaat ist, wenn polizeiliche Machtausübung keine Beschränkung mehr durch rechtsstaatliche Institutionen findet. Kein Betroffener fand einen Richter, der ihm in der Stunde der Verletzung seiner elementarsten Grundrechte hätte beistehen wollen oder können. Die eingeschlossenen Kreuzberger nicht, weil ihnen die polizeiliche Anordnung der U-Bahn-Blockade verschwiegen wurde; die im Kessel Umzingelten nicht, weil sie Freitag abend keinen zuständigen Richter mehr fanden. Die staatliche Gewalt war grenzenlos.

Dürfen Betroffenen in einer solchen Situation zur Selbsthilfe greifen, um die Bewegungsfreiheit wieder herzustellen? Und dürfen sie nicht, wenn es kein geringeres geeignetes Mittel gibt, dann auch zur Gewalt greifen, um dem Kessel zu entrinnen oder die Blockade aufzuheben? Aus den Bekenntnissen eines Ex-Polizeidirektors wissen wir, daß die Berliner Polizei beim letzten Besuch des US-Präsidenten 1982 glaubte, berechtigt zu sein, mit Mitteln „sicherheitspolitische“ Vorsorge treffen zu dürfen, die sie selbst als rechtswidrig einstufte. Innensenator und Polizeipräsident kannten also das Problem. Sie haben die jüngsten Aktionen entweder mitgeplant oder nicht verhindert. Damit haben sie jedes Recht verloren, verantwortlich für Ordnung zu sorgen. Nur wenn sie aus dem Amt gejagt werden, lassen sich die Zweifel an der Berechtigung des staatlichen Gewaltmonopols, das von Leuten wie ihnen exekutiert wird, beschränken. Und nur so läßt sich der böse Verdacht beseitigen, daß Freiheitsrechte nurmehr für jene zwei Drittel der Gesellschaft gelten, die am öffentlichen Reichtum an Rechts- und Vermögensgütern teilzuhaben in der Lage sind. Jony Eisenberg, taz 15. 6. 1987