Wichtig ist die Bindung

BUCHVORSTELLUNG Der Neurobiologe Gerhard Roth erklärt, wie das Hirn die Seele macht

■ 72, Neurobiologe, Direktor des Zentrums für Kognitionswissenschaften der Uni Bremen.

taz: Herr Roth, was ist die Seele?

Gerhard Roth: Wir verstehen darunter die Gesamtheit unserer kognitiven und emotionalen Zustände. Weil es dafür kein übergreifendes Wort gibt, haben Nicole Strüber und ich sie in unserem Buch ganz traditionell Seele genannt.

Und ihr Sitz ist das Hirn?

Weitestgehend: Es gibt unzählige Seelenvermögen und kognitive Zustände, die wir ziemlich gut unterschiedlichen Hirnaktivitäten zuordnen können.

und unterschiedlichen Hirnregionen …?

Im Prinzip ja, aber es sind bei den jeweiligen „Seelenvermögen“ immer viele Zentren beteiligt.

Eine materielle Seele?

Die große Frage, ob die Seele materiell oder immateriell ist, hat sich einigermaßen verflüchtigt, weil man festgestellt hat, dass allen Seelenzuständen neuronale Aktivitäten zugeordnet werden können. Fest steht, dass auch sie Naturgesetzen unterliegen: Geistig-seelische Arbeit verbraucht viel Energie.

Was lässt sich mit diesem Wissen anfangen?

Sehr viel, zum Beispiel lässt sich auf dem Gebiet der psychischen Störungen die Frage entscheiden, ob eher Psychotherapien oder doch nur Pillen wirken.

Und wirken die Pillen?

Ja – allerdings weniger spezifisch als die Therapien. Auf lange Sicht helfen nur Psychotherapien.

Welche denn?

Das hören die Psychotherapeuten ziemlich ungern …

Da müssen die jetzt durch.

Solange Therapeuten und Patienten an die Wirkung eines Verfahrens glauben, ist ziemlich egal, ob sie Psychoanalyse, Verhaltenstherapie oder esoterischen Bauchtanz machen – wichtig ist vor allem die ‚therapeutische Allianz‘, das heißt, eine enge Bindung zwischen Therapeut und Patient. Die spezifische Wirkung der einzelnen Therapierichtungen ist kleiner und wird erst später wichtig.

Das lässt sich nachweisen?

Ja: Diese Allianz bedeutet eine Erfahrung tiefen Vertrauens, die im Hirn die Produktion von Opioiden – die für Wohlbefinden sorgen – und von Oxytocin stimuliert: Das ist ein Hormon, das unsere Fähigkeit zu sozialer Bindung verbessert und uns zum Umlernen ermutigt. Darauf beruhen großteils die Heilerfolge – und nicht auf Einsicht, Bewusstseinserweiterung oder dem vermeintlichen Bewusstmachen des Unbewussten. INTERVIEW: BES

Gerhard Roth, Nicole Strüber „Wie das Gehirn die Seele macht“, Buchhandlung Storm, 20 Uhr