Grüne: Links um!

Nordrhein-Westfalens Grüne gehen auf Distanz zu den Hartz-Gesetzen. Der Austritt des Münsteraner Landtagsabgeordneten Rüdiger Sagel überschattet den Bochumer Parteitag

AUS BOCHUM ANDREAS WYPUTTA

Überschattet vom Parteiaustritt ihres Landtagsabgeordneten Rüdiger Sagel haben Nordrhein-Westfalens Grüne am Wochenende über die Hartz-Gesetzgebung, Klima- und Familienpolitik und die Bundeswehr-Einsätze in Afghanistan debattiert. Mochte der Münsteraner Sagel auch 500 Kilometer entfernt auf dem Vereinigungsparteitag der Linkspartei in Berlin sitzen – der Abgang des ehemaligen wirtschaftspolitischen Sprechers der grünen Landtagsfraktion war im Foyer der Bochumer Jahrhunderthalle Thema Nummer eins.

Landesparteichef Arndt Klocke forderte Sagel schon zu Beginn seiner Rede zum Mandatsverzicht auf: „Rüdiger Sagel ist nicht direkt in den Landtag gewählt worden, sondern auf der Liste der Grünen.“ Falls Sagel seinen Landtagssitz behalte, sei das ein Verrat an der direkten Basisdemokratie. Auch inhaltlich sei die Kritik Sagels nicht nachvollziehbar: „Für die Linken ist Platz in der Partei“, so Klocke unter starkem Applaus der über 250 Delegierten. Zuvor hatte sich auch die grüne Bundesvorsitzende Claudia Roth um Distanz zur Linkspartei bemüht. „Wir vertreten keine Ideologie, sondern Werte wie Menschenrechte, Gleichberechtigung und Solidarität.“ Die Grünen seien „eine starke linke Partei“, sagte Roth „ganz deutlich an eine bestimmte Adresse in Münster“.

Sagel selbst hatte seinen Austritt am Freitag dagegen damit begründet, „dass sich die Partei vor allem von ihren gewaltfreien, sozialen und basisdemokratischen Zielen immer weiter entfernt“ habe. Dabei hatte es offensichtlich schon seit Wochen Kontakte zur Linken gegeben. Der zum neuen West-Beauftragten des linken Parteivorstands gewählte Ex-SPDler Ulrich Maurer sagte der taz, dass er schon „seit längerer Zeit“ Gespräche mit Sagel geführt hätte. Dabei sei es aber nur um den Besuch des Parteitags der Linken und nicht um einen Parteiwechsel gegangen.

Inhaltlich gingen die NRW-Grünen als erster Landesverband auf Distanz zu Hartz IV. Die Reform sei ein „Desaster“, sagte die Gastrednerin Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand. Längst sei Hartz IV „ein Symbol für die Angst vor dem sozialen Abstieg“, so die ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete. Auch Parteichefin Roth hatte zuvor beklagt, aus der Förderung von SozialhilfeempfängerInnen sei ein „Fordern und Strafen“ geworden.

Mit rund 80 Prozent der Stimmen folgte der Parteitag deshalb dem Antrag des Landesvorstands für eine neue soziale Grundsicherung. Danach sollen Arbeitslose unabhängig vom Einkommen der PartnerIn mindestens 900 Euro im Monat erhalten. Außerdem sollen gesellschaftlich sinnvolle ehrenamtliche Tätigkeiten als Arbeit anerkannt werden. Die grüne Landesparteivorsitzende Daniela Schneckenburger betonte die Signalwirkung des Beschlusses für den grünen Bundesparteitag im November – auch dort stehe Hartz IV zur Disposition.

Außerdem machten sich die NRW-Grünen für mehr Klimaschutz und eine kostenlose Kinderbetreuung stark. Keine Unterstützung fand dagegen der aktuelle Tornado-Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan.

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