Brennende Witwen retten die Welt

Joachim Schloemer bringt in Freiburg das indische Nationalepos „Ramanaya“ als moderne Metapher auf Globalisierung und Terror auf die Bühne

VON DOROTHEA MARCUS

Mit dem Kulturaustausch zwischen Ost und West ist es eine schwierige Sache. Am Weg lauern Fettnäpfchen namens Postkolonialismus, Folklore und Ignoranz. Umso kühner ist jeder Versuch, östliche und westliche Theatertraditionen zu verbinden. Seit vielen Jahren bereist der Choreograf Joachim Schloemer Indien, ist als Kurator der offenen Tanzkompanie „PVC“ in Freiburg auf der Suche nach einer neuen Spiritualität im Tanz und hat für einen Zuschauerzuwachs der Tanzsparte von über 30 Prozent gesorgt.

Vor vier Jahren bat ihn der Leiter des Goethe-Instituts in Neu-Delhi, das indische Nationalepos „Ramanaya“ mit Indern und Deutschen zu inszenieren. Die Freiburger Premiere der „Entführung von Sita“ ist nun das Ergebnis, eine Koproduktion des Theater Freiburg und dem Berliner Haus der Kulturen der Welt, gefördert vom Bund.

Die Geschichte der Sita ist, ignorant ausgedrückt, so etwas wie die mythische Rechtfertigung der – inzwischen verbotenen – indischen Witwenverbrennung: Sita folgt ihrem Ehemann, König Rama von Ayodhya, ins Exil und wird dort von einem anderen König, dem Dämon Ravana, entführt. Doch sie weigert sich, ihren Entführer zu heiraten, weil sie ihren Mann liebt. Als der sie endlich mit Hilfe eines Affenwesens gerettet hat, bezweifelt er auf einmal ihre Treue – die sie mit einer Feuerprobe unter Beweis stellen muss. Als sie besteht, leben sie glücklich bis an ihr Ende. In einer anderen Fassung jedoch wird Sita schwanger verstoßen und fährt später in den Himmel auf.

Bei Schloemers wird das Epos zur knapp eineinhalbstündigen Versuchsanordnung, zur wilden Collage aus westlichen und östlichen Elementen, mit Schattenspielen, indischen Musikern und europäischen Videobotschaften, in dem Zeit- und Wirklichkeitsebenen verwirrend verschwimmen. Die Vorlage dient als moderne Metapher für alles, was auf der Welt nicht stimmt: Terror, Globalisierung, Ausbeutung. Und weil der ganze Abend auf Englisch ist und wir es auf jeden Fall verstehen sollen, fallen von der Decke deutsche Zettel ins Publikum, auf denen Globalisierungsopfer von ihren Arbeitsbedingungen berichten oder die Überflüssigkeit des „Kampfs gegen Terror“ betont wird. Als videoprojizierte CNN-Show mit reißerischen Nachrichtentiteln erzählt der indische Schauspieler Manish Chaudhari das Epos und seine Nebengeschichten flott nach. Sita schreibt auf Papierbahnen, Armen und Beinen mit rotem Filzstift ihre unentzifferbaren Gefühle nieder, der Dämon Ravana (Graham Smith) trägt Goldkette auf nackter Brust und wirft Glitzerstaub, während auf Video brutale Knebelbilder von Sita vorbeiflackern. Prinzessin Sita wird von zwei Frauen dargestellt: die eine ist Vaishali Trivedi, eine indische Tänzerin des traditionellen Kathak-Stils, die ein kreisendes, kämpferisches Duett mit dem athletischen, westlichen Tänzer Graham Smith tanzt. Die andere ist die Performerin Johanna Eiworth, die blonde Perücke und weißes Kleid trägt und ins Mikrofon Texte einer Entführten spricht, inspiriert durch Interviews mit Susanne Osthoff.

Wir erinnern uns: das rätselhafte Entführungsopfer in Bagdad, die nach ihrer Befreiung angeblich Teile des Lösegelds bei sich trug und schnellstmöglich in den Irak zurückkehren wollte. Die Inszenierung versucht also keine Bebilderung eines fremden Märchens, sondern ist eher eine Untersuchung des Stockholmsyndroms, jener These, dass es unmöglich und weltfremd ist, als Entführte seinen alten Gewissheiten „treu“ zu bleiben, weil sich der Mensch nun einmal anpasst. Dazu singt der indische Sänger Druf klagend von verlorener Liebe, und dann setzen sich die gelb gewandeten Darsteller an einen Tisch, um auf einem „Kongress über Entführung“ die Welt zu retten, der in hilfloser Vielstimmigkeit, in Plädoyers gegen Bodenversalzung und für Feminismus entgleitet.

In einer letzten Szene am Mikrofon trennt sich dann Rama von Sita und auf Video flammt das Feuer auf, in das sie nun gehen muss. Es ist also ein ehrenwerter Abend, dem man keinen Vorwurf machen kann: politisch auf der richtigen Seite, mit wunderschönen Gesängen und Tänzen, und doch bleibt Unbehagen zurück. Weil das Stückchenwerk kein poetisches Ganzes ergibt. Weil man durch die thesenhafte Mikrofonsprache kaum emotionale Beteiligung spürt. Weil die indischen Darsteller letztlich folkloristische und exotische Dekoration bleiben für die Thesen eines westlichen Regisseurs.

„Die Entführung der Sita“. Choreografie: Joachim Schloemer. Bühne: Mascha Masur, Theater Freiburg, weitere Vorstellungen: 21. und 22. 6.