THEATER

betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

ESTHER SLEVOGT

Das Jubiläum des Mauerfalls schlägt Wellen und Wunden. Ob es nun Aufregung über die abgeschraubten Mauerkreuze sind, die (diesen Rückschluss lässt zumindest die letzte Erklärung des Gorki Theaters zu) Berlin wahrscheinlich niemals verlassen haben, sondern an den EU-Außengrenzen von Doubles vertreten wurden. Dort sollten sie zum temporären Mahnmal für heutige Mauertote werden. Und nun sitzt unser Innensenator auf der Barrikade und kommt alleine nicht mehr herunter. Oder ob der Bundestagspräsident zum Fest ins Hohe Haus extra einen Barden bat, der erst mal ein paar Abgeordnete beleidigte, bevor er zur Klampfe griff. So wird letztlich alles zu Theater degradiert. Und leider auch noch zu schlechtem. Dabei war das mal was Großes: eine Sache für Künstler und Visionäre. Heute vergreift sich jeder Spießer daran. Aber schauen wir auf die Spielpläne dieser Woche. Da steht ein total aus der Zeit und der Aufmerksamkeit gefallenes Drama auf dem Programm: „Der neue Menoza oder Die Geschichte des kumbanischen Prinzen Tandi“ von Jakob Reinhold Michael Lenz. Die meisten kennen Lenz (wenn überhaupt) eher als Figur der berühmten Büchner-Erzählung. Aber er hat eben auch selber geschrieben: u. a. dieses seltsame Stück über Inzest, Liebe und Intoleranz, das ein bisschen wie die schwarze Version von Lessings „Nathan der Weise“ wirkt. Dauernd verlieren überforderte Menschen das Bewusstsein, auch sonst geht es drunter und drüber. Uwe Dag Berlin hat die Geschichte mit Schauspielschülern der Ernst-Busch-Schule in Szene gesetzt. (Volksbühne, 3. Stock: „Der neue Menoza“, 13./15. 11., 20 Uhr).

Im Deutschen Theater hat die junge Regisseurin Brit Bartkowiak mit „Land der ersten Dinge“ ein Stück inszeniert, dessen Geschichte ohne den Mauerfall nicht denkbar wäre, der ja auch ein Europäischer Mauerfall gewesen ist: Eine ehemalige (und altlinke) West-Richterin wurde zum Pflegefall und wird von einer osteuropäischen Pflegerin betreut. Die Biografien beider Frauen reißen schnell die Abgründe des Kalten Krieges wieder auf und die politischen und weltanschaulichen Gräben, die heute vielerorts immer noch so tief wie vor 1989 sind. Geschrieben hat das Stück die deutsch-georgische Dramatikerin Nino Haratischwili. (Deutsches Theater: „Land der ersten Dinge“, Uraufführung 14. 11., 20 Uhr).

Im Gorki Theater befasst sich im Kontext des Festivals „Voicing Resistance“ die deutsch-arabische Performance „Whims Of Freedom“ mit den Problemen, mit denen das noch immer unbewältigte Erbe des Ersten Weltkrieges das heutige Ägypten belastet. (Gorki Theater: „Whims Of Freedom“, 15. & 16. 11., 20.30 Uhr).