Zauber gegen Zwangsheirat

THEATER Das Theater in Cognito zeigt Shakespeares „Sommernachtstraum“ mit (fast) komplett digitalem Bühnenbild und zieht dabei neue Bedeutungsebenen ein

Theseus Königreich heißt beim Theater in Cognito „Shakesbook“ und ist ein soziales Netzwerk à la Facebook, komplett mit Statusmeldungen und Videochat

von Andreas Schnell

Die Ankündigung ist schon ein bisschen ulkig: „Ein Novum an der Universität Bremen: Shakespeares „Sommernachtstraum“ als Theaterstück in 3D“. Denn wann wäre Theater etwa nicht dreidimensional gewesen? Etwas weiter unten dann Aufklärung: Das Bühnenbild sei komplett digital. Was dann wirklich ein Novum ist, auch sich wenn der Trend dorthin schon vor einigen Monaten bei der „Idomeneo“-Premiere im Theater am Goetheplatz manifestierte, als die Bremer Projektionskünstler von Urban Screen eine zerklüftete Seelenlandschaft zum Leben erweckten.

Verantwortlich für diesen neuen Shakespeare-Zugang ist das universitäre Projekt „Theater in Cognito“ (TiC) unter der Leitung von Franz Eggstein, das aus den „General Studies“ hervorgegangen ist und Studierende unterschiedlichster Fächer zusammenführt.

Für die aktuelle Produktion stießen noch zehn Informatiker dazu, die für den „Sommernachtstraum“ die beiden Königreiche, in denen Shakespeare spielen lässt, durchaus gewinnbringend neu interpretierten. Und sie hatten wahrscheinlich eine Menge zu tun, denn außer ein paar Würfeln, die als Sitzgelegenheiten dienen (und sowas lässt sich schließlich wirklich schwerlich projizieren), gibt es keine Requisiten. „Ein Sommernachtstraum“ ist für so ein Unternehmen eine gute Wahl. Erstens gilt das Stück nicht zuletzt als Klassiker für Schul- und Laientheateraufführungen, vor allem aber spielt es ohnehin schon mit gewissermaßen virtuellen Welten, wie wir sie heute als „Cyberspace“ kennen. Eggstein siedelt das Königreich von Theseus, in dem der Sommernachtstraum beginnt, in Athens „Shakesbook“ an, einem sozialen Netzwerk à la Facebook.

Hermia und Lysander, Demetrius und Helena werden als Benutzerprofile eingeführt, mitsamt Beziehungs- und Gefühlsstatus, später wird sich Hermias Vater per Videochat einschalten. In diesem Reich also soll bald königliche Hochzeit gefeiert werden, aber Friede, Freude, Eierkuchen herrschen dennoch nicht.

Hermia nämlich soll Demetrius heiraten, den sie allerdings nicht liebt. Denn sie ist glücklich in Lysander verliebt. Aber Vater Egeus ist unerbittlich, droht mit Tod und Verbannung. Helena wiederum liebt Demetrius, der neuerdings nur noch Augen für Hermia hat.

Lysander und Hermia fliehen in den Wald, wo Oberon herrscht, der König der Elfen. In seinem Reich herrschen andere Gesetze. Mit ein wenig Zauberei sorgt er für ein gerüttelt Maß an Verwirrung unter den Menschen (darunter Helena und Demetrius sowie eine ziemlich bizarre Laientheatergruppe), die sich in sein Reich begeben. Und schließlich leitet er das allgemeine Happy End in die Wege.

Beim Theater in Cognito ist diese Elfenwelt ein System aus horizontalen, parallel verlaufenden Röhren, im Unterschied übrigens zur im wesentlichen vertikal verlaufenden Shakesbook-Sphäre. Und natürlich erinnert das nicht nur an den Animationsfilmklassiker „Tron“, sondern auch an die Logik des Films „Matrix“, wonach die uns bekannte Realität nur eine virtuelle Fassade ist. Die Rohre verbinden gleichsam die traumhaften Erfahrungen der menschlichen Versuchskaninchen, so dass eine Art kollektiver Traumzustand entsteht.

Dazu kommt es, weil Puck auf Geheiß Oberons verschiedenen Menschen Sand in die Augen gestreut hat – zum durchaus etwas hinterhältigen Vergnügen des Elfenkönigs, der allerdings dabei durchaus auch politisch subversive Ziele verfolgt, nämlich die Zwangsheirat von Hermia und Demetrius zu verhindern.

Im Elfenwald begegnen wir auch der Laienspieltruppe, die zur Hochzeitsfeier des Königs „Pyramus und Thisbe“ aufführen will, jene „Romeo und Julia“-Vorlage aus Ovids „Metamorphosen“.

Die Frage, ob der „Sommernachtstraum“ ein Traum mit glücklichem Ende ist, oder eine gewissermaßen praktische Kritik an den Verhältnissen in der Wirklichkeit, die sich in Shakespeares Stück lesen lässt, ist beim Theater in Cognito nicht nur um ästhetische Bezüge zur Gegenwart erweitert, sondern lässt sich durchaus auch als Kommentar auf soziale Netzwerke verstehen, in denen sich kaum verhohlen hierarchische Verhältnisse widerspiegeln.

Schauspielerisch ist natürlich in Rechnung zu stellen, dass es sich bei den Akteuren und Akteurinnen natürlich nicht um Schauspielprofis handelt, weshalb es gelegentlich Verständnisprobleme gibt, vor allem bei Oberons Gemahlin Titania, gespielt von Lu Zhang, die sprachliche Schwächen allerdings durch eine ausdrucksstarke Körpersprache ausgleicht. Allerdings gibt es auch durchaus beachtliche Leistungen zu sehen. Vor allem Carolin Falke mit einem artistischen Puck und Andreas Duczmal als Nikolaus Zettel können überzeugen.

■ Weitere Aufführungen heute, Freitag und Samstag, 20 Uhr, Theatersaal der Uni Bremen