Ein Stadtteil im Moschee-Streit

22 Jahre hat die Moschee die Ehrenfelder nicht gestört. Der Kölner Stadtteil war stets ein Musterbeispiel für ein freundliches Miteinander der Kulturen. Nun ist an selber Stelle ein Neubau geplant. Schon ist die Aufregung groß. Vom Ende der Gelassenheit in Ehrenfeld

AUS KÖLN HANNAH HOFFMANN

Mit spitzem Mund prüft eine ältere Frau das Salatangebot beim türkischen Gemüsemann. Neben ihr stehen zwei Männer und schwatzen in breitem Kölsch über die Grillparty vom vergangenen Wochenende. Ihre großen Schnauzbärte wackeln, wenn sie lachen. Ein grauhaariger türkischer Friseur mit roten Hütchen auf dem Kopf steht, die Hände in die Hüften gestemmt, auf der Straße und schaut nach Kundschaft. Den jungen Mann mit den zerzausten Haaren, der gerade seinen Kinderwagen an ihm vorbei zum Biosupermarkt schiebt, bemerkt er gar nicht.

Wo in Köln die Venloer Straße die Innere Kanalstraße kreuzt, fängt der Stadtteil Ehrenfeld an. Ein grauweißes Gebäude mit vielen trüben Fenstern steht dort, ein- und zweistöckig, mit langen Seitenflügeln. Was wie eine Lagerhalle anmutet, ist in Wirklichkeit eine Moschee. In dem früheren Fabrikgebäude residiert seit über zwei Jahrzehnten die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), die für sich in Anspruch nimmt, die größte Interessenvertretung türkischstämmiger Moslems in der Bundesrepublik zu sein. Bis vor kurzem hat die Gebetsstätte keinen gestört. Nun ist aber an derselben Stelle ein repräsentativer Neubau geplant, und prompt ist die Aufregung groß.

Das verwundert angesichts der Sozialstruktur und des bisher stets freundlich-friedlichen Miteinanders in Ehrenfeld. Denn vom Hartz IV-Empfänger und den Mittelstandsöko über den Atelier-Yuppie bis zur türkischen Großfamilie lebt in Ehrenfeld so ziemlich alles, was eine urbane Gesellschaft zu bieten hat. Auch der Publizist Günter Wallraff wohnt hier gleich um die Ecke.

Schon in den Fünfzigerjahren waren die ersten „Gastarbeiter“ in das damalige Arbeiterviertel gezogen. Nach und nach eröffneten sie Läden und Imbissbuden, bekamen Kinder und ließen sich endgültig in Ehrenfeld nieder. Wegen der günstigen Mieten kamen in den Neunzigern Studenten und Künstler nach Ehrenfeld. Es entstanden Cafés und Clubs und schließlich wurde Ehrenfeld richtig hip. Stets zeigte sich die Mehrheit der Ehrenfelder Bürger neuen Impulsen gegenüber als durchweg tolerant und aufgeschlossen. Bei der geplanten Zentralmoschee ist es anders. Die wollen angeblich ganz viele im Viertel nicht. Jörg Uckermann, Chef der Ehrenfelder CDU, behauptet gar, 80 Prozent der Ehrenfelder lehnten sie ab.

Wie viele es wirklich sind, weiß keiner. Dass es etliche Gegner gibt, haben jedoch nicht nur die zahlreichen Leserbriefe an die Kölner Lokalzeitungen gezeigt, auch auf Infoveranstaltungen zum geplanten Bau artikulierte sich Protest. Schimpfend und schreiend machten manche ihrem Ärger Luft. Einige sympathisieren auch offen mit der rechtsextremen „Bürgerbewegung Pro Köln“, die sich zur „Speerspitze des Widerstandes“ erklärt hat.

Was treibt Ehrenfelder Bürger dazu, sich plötzlich auf deren Seite zu schlagen? „Ich wundere mich auch, was hier in Ehrenfeld gerade passiert“, sagt Harald Hoyer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen in der Bezirksvertretung Ehrenfeld. „Das ist ein Thema, das einen abends im Bett noch beschäftigt: Was wollen die Leute eigentlich?“

Ein kleiner Mann mit Brille und grauem Pullover reckt sein Kinn vor und fährt sich mit der Hand durchs Haar. „Ich habe nichts gegen Ausländer“, bekundet er. Seit über 60 Jahren lebe er schon in Ehrenfeld und eigentlich sei er hier immer zufrieden gewesen.„Aber wenn die Moschee gebaut wird, kommen nicht nur die hunderttausend Muslime aus Köln, sondern auch die von außerhalb. Das gibt doch ein Verkehrschaos“, glaubt der Mann. Nicht nur ihm geht das offenbar so. Viele Anwohner befürchten Parkplatznot, Lärm oder auch die Rufe des Muezzin, die künftig in ihre Wohnungen schallen könnten.

Ein großer türkischstämmiger Mann mit muskulösem Oberkörper zuckt mit den Schultern. „Die vielen Besucher kommen ein Mal, um zu gucken und vielleicht mal zu den großen Festen, danach geht jeder wieder in die Moschee, die ihm am nächsten ist“, wiegelt er in kölschem Akzent ab. Er selbst ist muslimischen Glaubens und geht jeden Freitag in die Ehrenfelder Moschee. „Ich würde auch nicht jede Woche nach Rodenkirchen zum Beten fahren“, sagt er und lacht.

Viele deutschstämmige Einwohner sehen das weniger gelassen, obwohl zumindest eine ihrer Befürchtungen inzwischen obsolet ist. Längst haben sich Planer und Politiker darauf geeinigt, dass kein Muezzin-Ruf in Ehrenfeld erklingen wird. Außerdem ist eine Tiefgarage geplant, die die Verkehrssituation sogar verbessern soll.

Versteckt sich hinter den artikulierten Sorgen mancher Bürger also nur eine rechtslastige Gesinnung? Hermann Josef Berk glaubt nicht daran, dass alle Gegner der Moschee auch rechts sind. „Viele wissen gar nicht, dass das Rechtsradikale sind bei ‚Pro Köln‘. Die kapieren die Tendenz dahinter gar nicht“, mutmaßt der Kölner Psychologe. „Die würden sich schämen, wenn sie feststellten, in welchen Topf sie da geraten sind“, so Berk. „Bei ‚Pro Köln‘ sagen sie ja nicht: ‚Wir sind rechtsradikal‘. Die sagen: ‚Wir sind für die Bürger‘.“

Dass für die meisten Gegner das islamische Gotteshaus als solches nicht das Problem ist, glaubt auch CDU-Bezirkspolitiker Uckermann – und behauptet das auch für sich selbst. „Viele fragen sich: Muss ein solcher Bau am Eingangstor zu Ehrenfeld errichtet werden? Ich würde in der Türkei auch keine bayrische Kirche bauen, da passt sie einfach nicht hin.“ Dann also lieber ein schmuddeliges Fabrikgebäude, dem nicht angesehen werden kann, wozu es genutzt wird? Ein ästhetisches Glanzstück ist es jedenfalls nicht. In dieser Hinsicht könnte es mit der von den berühmten Kölner Kirchenbaumeistern Gottfried und Paul Böhm entworfenen neuen Moschee nur besser werden.

Wesentlich auffälliger wäre sie aber auch, und das bereitet manch Anwohner. Zwei 55 Meter hohe Minarette sollen, so die Planung, zukünftig am Tor Ehrenfelds in den Himmel ragen. Für den Ehrenfelder Uckermann ist das zu viel des Guten: „Das ist doch islamischer Gigantismus“, tönt der Christdemokrat. „Da fragt man sich: Was wollen die uns damit zeigen?“ Er habe gegen eine Moschee „ja nichts, aber warum errichtet man sie nicht da, wo sie keinen stört: im Gewerbegebiet?“

„Wenn das Thema nicht durch Aufklärung Kontur gewinnt, wird es gefährlich“

Was Uckermann sagt, scheint der eigentliche Knackpunkt im Streit um die Moschee zu sein. Anderssein halten die Alteingesessenen gut aus – solange es demütig und möglichst unsichtbar bleibt. Der Entwurf für die neue Moschee sei aber alles andere als demütig und mache den Menschen deshalb Angst, erklärt Psychologe Berk:. „Als die ‚Gastarbeiter‘ kamen, dachten alle, die fahren auch wieder. Jetzt hat sich da eine Gemeinschaft entwicktelt, die plötzlich Ansprüche entwickelt. Und zwar nicht klein und bescheiden im Hinterhof, sondern groß und mit Nachdruck“, betont der Psychologe. Ein solches Selbstbewusstsein mache misstrauisch, sogar die, die sonst politisch eher links angesiedelt seien, meint er.

„Ich finde das super hier, das Zusammenleben mit den Ausländern“, sagt eine junge Frau mit Kinderwagen. „Aber ganz ehrlich, ich habe mich auch schon gefragt, ob eine Moschee nicht dazu führt, dass Migranten sich noch mehr abschotten.“ Schnell schiebt sie hinterher: „Also, ich wähle grün, aber wenn man so hört, dass in der Moschee oft gegen Integration geredet wird...“

Solche Bedenken seien im Umgang mit dem Islam nicht ganz unbegründet, findet auch Psychologe Berk. „Es gibt diese muslimische Vorstellung von Eroberung. Und das spüren die Menschen.“ Dass die DITIB-Vertreter immer wieder Integration als ihr oberstes Ziel erklären, hilft laut Berk wenig: „Es wird sich erst im Nachhinein zeigen, ob sich da Konfrontation oder Integration entwickelt.“ Trotzdem sei es gerade in dieser Situation besonders wichtig, nicht aufzugeben oder ein Ergebnis abzuwarten. „Wenn das Thema nicht durch Aufklärung eine Kontur bekommt, wird es gefährlich. Und zwar nicht von Seiten der Rechtsradikalen. Das machen die Leute dann schon ganz von alleine.“

Von denen ärgern sich gerade jetzt nicht wenige über die Politik. Viele Ehrenfelder fühlen sich mit ihren Sorgen über den geplanten Moscheebau allein gelassen. „Wir könnten da auch mehr tun. Hoffentlich werden die Parteien mal wach“, sagt der Grüne Harald Hoyer.

Von dem Streit kriegt das Baby im Kinderwagen nichts mit. Es schläft gelassen weiter, während die alte Frau endlich einen Salatkopf gefunden hat, der ihr gefällt. Die kölschen Herren haben fertig geplaudert und machen sich wieder auf den Weg zur Arbeit, vorbei am türkischen Friseurladen, in dem der kleine Mann mit dem roten Hütchen inzwischen wieder behände die Schere schwingt.