Superheldin vor Gericht

Im Prozess um die Aktion der „prekären Superhelden“, muss sich in Hamburg eine 30-Jährige für den Überfall auf einen Feinkostladen verantworten. Die Polizei ermittelte mit fragwürdigen Methoden

VON KAI VON APPEN

Der Hamburger Landrichter Nils Werner lässt sich im Verfahren durch sein häufiges Grinsen unverhohlen anmerken, dass er der „karnevalistischen Einlage“ einen gewissen Witz abgewinnt, die selbst die britische Zeitung The Guardian als den „wahrscheinlich lustigsten Coup in der deutschen Kriminalgeschichte“ würdigt. Doch der Staatsschutz kennt keinen Spaß. Mit Verbissenheit fahndete er nach den Räubern aus einem Delikatessenladen und brachte nun Irene H. (30) als mutmaßliche „Superheldin“ wegen Diebstahls vor das Amtsgericht Hamburg-Altona.

Am Vormittag des 28. April 2006 stattete eine Gruppe von rund 30 „prekären Superhelden“ dem Gourmet-Supermarkt Frisches Paradies an der Großen Elbstraße in Hamburg einen Besuch ab. Mit weißen Masken getarnt stopften die Akteure Champagner, Hirschkeulen, und andere Leckereien in Plastiktüten und verließen den Laden kommentarlos. Den beiden verdutzten Verkäuferinnen überreichten sie noch zum Abschied einen Blumenstrauß, an dem sie dann auch ihre Bekenner-Visitenkarte hinterließen. Sodann begannen „Spider Mom“, „Superflex“ und ihre Mitstreiterinnen – wie sie sich nannten – mit der diskreten Umverteilung der Delikatessen an Erzieherinnen, Praktikantinnen, Putzfrauen und Ein-Euro-Jobber. Ihre Devise: Warum sollten prekär Beschäftigte, von denen es immer mehr gebe, nicht auch mal etwas von dem Reichtum haben, der in Hamburg im Überfluss vorhanden sei?

Trotz der öffentlichen Sympathie für die Aktion zogen Staatsschutzfahnder alle kriminalistischen Register: Fotos von der Aktion wurden vom Web-Portal Indymedia runtergeladen und analysiert. Darunter war auch eine Seitenprofil-Abbildung einer maskierten „Superheldin“ mit brauem Pferdeschwanz. Und da Irene H. einen Pferdeschwanz trägt und im Oktober 2005 wegen Aktivitäten zum Hamburger Euromayday in Observationsberichten auftauchte, geriet sie nun direkt ins Visier der Fahnder. Doch zwei Mal lehnte ein Ermittlungsrichter einen Durchsuchungbeschluss für ihre Wohnräume im Wohnprojekt Große Freiheit ab.

Deshalb wählte die Polizei einen Umweg: Sie stürmte am 31. Mai 2006 den „Buttclub“ in den Hafenstraßen-Häusern, als dort gerade die Initiative „Hamburg umsonst“ tagte. Die Fahnder trafen dort auch auf Irene H. und nutzten die Gelegenheit, um mit ihr zu ihrer Wohnung zu fahren und diese zu durchsuchen. Begründung: „Gefahr in Verzug“. Ihr Laptop, auf dem sich Artikel zu prekärer Beschäftigung und Texte über den Euromayday befanden, stellten sie sicher. Mit den nunmehr angefertigten Seitenprofil-Fotos aus der „erkennungsdienstlichen Behandlung“ gaben die Staatsschutz-Fahnder beim Bundeskriminalamt (BKA) ein forensisches Gutachten in Auftrag, um „individuelle anatomische Merkmale“ mit dem Internet-Foto zu vergleichen. Doch das BKA kommt zu den Schluss, dass keine Übereinstimmungen nachzuweisen sind.

Zu diesem Ergebnis kommt Verteidigerin Gabriele Heinecke beim bloßen Hinsehen. „Diese Frau hat viel fülligere Wangen als meine Mandantin“, sagte sie und forderte, das Verfahren einzustellen. Auch Richter Werner erkannte eigentlich, dass die Frau auf der Abbildung „viel mehr Speck an den Wangenknochen“ habe, dennoch wollte er alle Beweismittel ausschöpfen. Aber die beiden Augenzeuginnen aus dem überfallenen Geschäft waren überfordert, als sie aus der Masse von Maskenträgerinnen mit Pferdeschwanz im Zuhörerraum des Gerichts die Angeklagte identifizieren sollten.

Der Prozess wird nur noch fortgesetzt, weil Richter Werner darauf besteht, die auf Irene H.s Laptop gespeicherten Artikel in das Verfahren einzuführen. Unter dem Protest von Anwältin Heinecke. Denn die Hausdurchsuchung durch die Hintertür ohne Richtervorbehalt sei rechtswidrig gewesen, so dass ein Verwertungsverbot bestehe. „Das hat gerade das Bundesverfassungsgericht in zwei Beschlüssen untermauert“, sagte Heinecke.