Das seegrüne Unterseeboot

Zwischen Heimatlosigkeit und Hasenheide: Fred Bigot a.k.a. Electronicat kommt aus Frankreich und lebt seit fast vier Jahren in Neukölln, wo er seine erstaunliche Musik aus billigen Drums und Superbässen produziert. Ein Porträt

Fred Bigot sieht noch bleicher aus als gewöhnlich. Sein äußerliches Erscheinen, Frisur, Eintagebart, Kleidung, könnte man getrost als „nachlässig“ bezeichnen. Es ist vier Uhr am Nachmittag, aus seiner Altbauwohnung an der Hasenheide in Neukölln ging es drei Stockwerke runter vor das dortige Unterschichtencafé.

Am Nachbartisch unterhält sich ein mittelaltes Paar so laut, dass ich mir Sorgen um die Aufnahme des Gesprächs mache. Fred Bigot flüstert mit einer angenehmen, weichen Stimme, als ob er sich mit allen Menschen auf einer Stufe sähe. Vielleicht liegt die Sanftheit seiner Stimme aber auch an seiner Müdigkeit. Bis vor ein paar Tagen ist er noch durch Europa getourt. Unter seinem Projektnamen Electronicat hat Bigot mittlerweile sechs Platten veröffentlicht. Allesamt versuchen sie einen Spagat aus Glam Rock, Rockabilly und Electronica.

Das Besondere an diesen Platten, zuletzt „Chez Toi“, erschienen auf dem Münchener Label Disko B, ist: Niemand vorher hat diese Mischung aus Rock ’n’ Roll und Techno, schrottigen Gitarren, einwandfreien Riffs, billigen Drumsounds und einem alles wegboxenden Superbass gewagt.

Bigot selbst will nicht viel über den Einfluss von Suicide reden, an den man denken könnte, sondern lieber von Link Wray, Bo Diddley, den Electric Prunes, einer fünfköpfigen Psychedelic-Gruppe aus den Sechzigerjahren oder gar von Johnny Hallyday, dem Peter Kraus Frankreichs. Bigot hasst ihn, obwohl Hallyday einige ulkige Beatles-Cover aufgenommen hat: „Es gibt sehr viele lustige Beatles-Stücke, die französische Künstler auf Französisch gesungen haben. Da heißt das Yellow Submarine ‚sous-marin vert‘, weil es sich dann auf ‚mer‘ reimt.“

Aber Rock ’n’ Roll ist für ihn nicht der einzige Referenzpunkt. Inzwischen gibt es auch deutliche Einflüsse von Hiphop in seiner Musik. Miss Le Bomb, Lebensgefährtin und musikalische Mitstreiterin, hat zum neuen Album „Chez Toi“ einige Raps beigesteuert. Zahlreiche Kooperationen mit Produzenten wie Khan zahlen sich aus: Insgesamt kommt er, Platten, Touren, gelegentliches Remixen und seltenes Auflegen inklusive, gut über die Runden. Er nennt auch ein kleines Studio sein Eigen.

In Berlin fühlt er sich zu Hause, die heruntergekommene Gegend zwischen Hermannplatz und Hasenheide findet er gut. Der Berliner Antistil passt zu ihm. Clubben ist nicht sein Ding, wenn er richtig ausgehen will, dann am liebsten ins West Germany, ein Zentrum des Berliner Untergrunds, der kleinen Musikerszene, die sich immer wieder durch Zuwanderung von Künstlern erneuert.

Geboren wurde Bigot in Laval im Westen Frankreichs. Anfang der Neunzigerjahre ist er nach Paris gezogen, wo er neben allerlei Experimenten und einer verhinderten Bandkarriere auf einem Majorlabel auch die ersten beiden Platten als Electronicat herausgebracht hat. In Berlin wohnt er seit Sommer 2003, von Anfang an in Neukölln.

Bigot kennt nicht viele andere Franzosen in Berlin. Dabei scheinen die Franzosen nach den Amerikanern und Australiern jetzt Berlin für sich entdeckt zu haben, selbst am Bauwagenplatz am Bethanien sieht man französische Autokennzeichen. Vielleicht setzt nach der Wahl Sarkozys auch wieder ein neuer Run ein. Die Empörung unter den französischen Exilanten scheint jedenfalls groß zu sein, immerhin haben die Franzosen in Berlin zu mehr als 70 Prozent Ségolène Royal gewählt. Bigot ist einer von ihnen: „Ich musste jemanden für mich wählen lassen, weil ich zu dem Zeitpunkt in Paris war, aber in Berlin registriert bin. Ich bin nicht so politisch, es tangiert mich nicht wirklich. Ich bin Künstler.“ Und Künstler, das haben sie mit der Arbeiterklasse gemein, haben eben keine Heimat. RENÉ HAMANN

Electronicat: „Chez Toi“ (Disko B/Hausmusik/Indigo)