Rollentausch im Tierpark

Im neuen Raubtiergehege des Wuppertaler Zoos scheint die Welt auf den Kopf gestellt: Die Menschen drängen sich in einem Käfig aus Beton und Glas, die Löwen flanieren in relativer Freiheit an den schaulustigen Zweibeinern hinter Panzerglas vorbei

„Eine etwas kleinere Fläche wäre für eine artgerechte Haltung sicher auch ausreichend gewesen, Löwen liegen schließlich viel ‘rum“

VON LUTZ DEBUS

Ein Hektar afrikanischer Savanne grenzt unmittelbar an einen dunklen mitteleuropäischen Fichtenwald. Diese Attraktion ist seit Mai im Wuppertaler Zoo zu bewundern. Eine ganze Löwenfamilie räkelt sich in der Sonne, schaut leicht desinteressiert auf den in der Ferne gespannten Maschendrahtzaun. Diese Absperrung hat, aus der Nähe betrachtet, allerdings die Abmessungen einer ehemaligen innerdeutschen Grenzanlage. Schwere, knapp vier Meter hohe Stahlpfosten gewährleisten, dass Savannenbewohner und Zoobesucher nicht durcheinander geraten. Für Menschen, die die Löwen nicht nur mit dem Feldstecher aus der Ferne bewundern wollen, ist ein Stollen unter das Grasland getrieben worden. Dieser endet in einem künstlich angelegten Gebirge, das mit Fenstern aus Panzerglass versehen ist.

Im Innern des künstlichen Berges herrscht Gedränge. Babys quengeln, Kinder kreischen, Eltern schimpfen, Opas knipsen. Über allem schwebt das Aroma menschlicher Ausdünstungen. So erscheint in dem neuen Raubkatzengehege in Wuppertal die zoologische Welt auf den Kopf gestellt. Während noch im letzten Jahr die Löwen in Käfigen lebten, die die Größe einer Doppelgarage hatten, die Besucher an den Gitterstäben vorbei flanierten, wurden nun die Rollen getauscht. Die Menschen drängen sich in einem Käfig aus Beton und Glas, die Löwen genießen ihr Leben in relativer Freiheit.

Der Trend, den Tieren mehr Platz als den Menschen in Tierparks zuzugestehen, sei schon seit einiger Zeit zu beobachten, erklärt Biologe Andreas Haeser-Kalthoff vom Zoo Wuppertal. Allerdings sei die nun größte Löwenanlage in einem deutschen Zoo besonders imposant ausgefallen. „Eine etwas kleinere Fläche wäre für eine artgerechte Haltung sicher auch ausreichend gewesen. Löwen liegen schließlich viel rum“, sagt der Raubkatzenspezialist. Letztlich könne er sich natürlich nicht gänzlich in die Psyche seiner Tiere einfühlen. Aber die Katzen machten auf ihn einen zufriedenen Eindruck.

Die in der Vergangenheit typischen Freigehege waren mit Baumstämmen, Betonplatten und festgetretenem Lehm ausgestattet. In Wuppertal hingegen steht kniehoch das Gras. „Löwen sind Savannentiere. Die finden Gras interessanter als nackte Erde“, vermutet Andreas Haeser-Kalthoff. Allerdings habe man das neue Gehege nicht nur deshalb angelegt, um die Löwen glücklich zu machen. „Mittlerweile ist es auch dem Publikum wichtig, die Tiere in einer möglichst natürlichen Umgebung beobachten zu können.“ Und ohne Besucher funktioniere nun mal kein Zoo. In Hannover wurde, um ein Gefühl von Abenteuer zu vermitteln, ein altes Kleinflugzeug in einem Baum befestigt. Daneben hängt ein zerfetzter Fallschirm, an der eine Puppe baumelt. „Abgestürzt in Afrika“, soll die Botschaft lauten. Auf solche Effekte verzichtet man in Wuppertal bislang. „Uns geht es vor allem um die Erhaltung bedrohter Tierarten und um den Bildungsauftrag, den wir als Zoo haben“, sagt Haeser-Kalthoff.

Von einem afrikanisch anmutenden hölzernen Turm kann man über die weite Wuppertaler Steppenlandschaft schauen. Im Westen beginnt das etwas kleinere Tigerland. Auch hier erleichtert ein in das Gehege führender Weg den Besuchern, sich den Tieren zu nähern. Diesmal jedoch müssen die Menschen nicht durch einen Tunnel, sondern sie können sich zwischen Felsbrocken und Glasplatten tummeln.

Aber auch die gestreiften Großkatzen nehmen es gelassen, Menschenmengen als Nachbarn zu haben. An den Infotafeln vor der Tigerwiese bilden sich Trauben von Zoobesuchern. Dabei gelingt es den Zweibeinern immer wieder, sich mit den größten Katzen der Welt zu identifizieren. „Außerhalb der Paarungszeit sind Tiger strikte Einzelgänger. Die Aufzucht der Jungen bewältigt die Tigerin also alleine“, liest eine junge Frau vor und ergänzt: „Das ist ja wie bei uns.“ Ein neben ihr stehender Mann kontert mit der Textzeile: „Ein Tiger kann bis zu 40 Kilogramm Fleisch auf einmal zu sich nehmen.“ Dabei streicht er sich genußvoll über seinen imposanten Bauch. Das neue Gehege, so sagt Andreas Haeser-Kalthoff, sei der Publikumsmagnet des Zoos.

Möglich wurde der 11,5 Millionen Euro teure Umbau durch Fördermittel des Landes NRW, das mit seinem Projekt „Regionale 2006“ städtebauliche Maßnahmen in Wuppertal, Solingen und Remscheid unterstützte. Auch der Eingangsbereich des Tierparks mit dem Platz, der zum Stadion und zur Schwebebahnhaltestelle führt, wurde neu gestaltet. Für das kommende Jahr planen die Verantwortlichen bereits ein neues Bauvorhaben. Die Königspinguine, Wappentiere des Wuppertaler Zoos, werden ein neues Zuhause bekommen. Ein Freigehege in der Größe der Großkatzenwiesen komme für die Frackträger aber nicht in Frage. „Die Feinstaubbelastung in der Luft in Europa ist für die sensiblen Tiere zu stark. Sie sind nur die klare antarktische Atmosphäre gewöhnt“, berichtet der Zoobiologe. Deshalb müsse man die Meeresvögel immer in klimatisierten Gebäuden halten, die mit gefilterter außenluft versorgt werden. Sonst litten die Tiere unter Atemnot.

Der Luftverschmutzung und der Erderwärmung scheinbar trotzend, stehen im Wuppertaler Zoo allerdings seit einem Jahr völlig andere Pinguine herum. Mit mannshohen Skulpturen der Kunstaktion Pinguinale feierte man das 125-jährige Bestehen des Tierparks. Ob zum nächsten Zoojubiläum die Stadt an der Wupper mit Plastiklöwen bevölkert wird, wollte der verantwortliche Biologe nicht bestätigen.