Von Altonas Glanz und Gloria

LITERATUR Zum 350. Jubiläum der Stadtrechte-Verleihung an Altona sind etliche Bücher für verschiedene Adressaten erschienen. Die reichen vom sentimentalen Spaziergänger über den Kaminplauderer bis zum Heimathistoriker

Ob das Zitat des „Liedes auf die Eisenbahn“ zur Grundsteinlegung des Altonaer Bahnhofs ernst oder ironisch gemeint ist, weiß niemand ganz genau

VON PETRA SCHELLEN

Darf ein Rabbi Amulette verteilen? Oberrabbi Jonathan Eybeschütz, im 18. Jahrhundert Chef der jüdischen Dreigemeinde Altona, Hamburg und Wandsbek, fand: Ja, das darf man, und er gab davon reichlich an Wöchnerinnen – so, wie es die abergläubischen Altvorderen aller Kulturkreise taten, auf dass das Baby einen guten, umhegten Start ins Leben habe.

Aber die jüdische Gelehrtenschaft war und ist sich uneins in dieser Frage, wie auch die Ausstellung hebräischer Handschriften im Oktober diesen Jahres in Hamburgs Staats- und Universitätsbibliothek zeigte: Am Rande nur präsentierte sie Amulette – klein gefaltete Tüchlein mit heiligen Psalmen und anderen Bibeltexten, die man zum universellen Schutze bei sich tragen konnte.

Im Altona des 18. Jahrhunderts war es der jüdische Gelehrte Jacob Emden, der wegen besagter Amulettverteilung gegen den renommierten Rabbi Eybeschütz Klage führte – auch dann noch, als er von der Obrigkeit nach Amsterdam geschickt worden war, auf dass in der Gemeinde endlich Friede herrsche.

Zu lesen ist das in Ernst Christian Schütts Bändchen „Altonaer Geschichten“, das – in handliche Texte von zwei, drei Seiten verpackt – von Persönlichkeiten und Ereignissen in jenem Städtchen erzählt, das erst seit der Eingemeindung durch die Nazis im Jahr 1937 Teil von Hamburg ist.

Das traurige Ende des Stadtphysikus Johann Friedrich Struensee etwa, einflussreicher Arzt, Aufklärer und Sozialreformer am dänischen Hof, der 1772 auf Betreiben seiner Widersacher hingerichtet wurde, ist Thema eines anderen Textes. Auch von dem protestantischen Geistlichen Heinrich Zeise ist zu lesen, der in kraftvollem Plattdeutsch predigte und damit beträchtlich Menschen erreichte.

Heinrich Zeise war übrigens Urgroßvater des Schiffsschraubenfabrikanten Theodor Zeise, nach dem die heutigen Altonaer Zeisehallen benannt sind. Geschichtchen, Schnipsel sind es nur, nicht repräsentativ, aber für In- und Outsider angenehm flockig wegzulesen, immer mal als Häppchen zwischendurch oder auch am Stück.

Wer sich historisch fundierter und vor allem ausführlicher informieren möchte über Altona, das vor 350 Jahren vom dänischen König Frederik III. die Stadtrechte samt wirtschaftlichen Privilegien bekam, kann zu Holmer Stahnckes 380 Seiten starkem Band „Altona – Geschichte einer Stadt“ greifen. Dort wird jede Facette dieser wechselvollen Historie ausgeleuchtet, beginnend mit dem Krug von 1537, der „allzu nah“ an Hamburg lag, über die Anwerbe-Aktionen für spanische und niederländische Glaubensflüchtlinge, in deren Folge Menschen verschiedener christlicher Konfessionen, aber auch Juden kamen und der Wirtschaft im 17. und 18. Jahrhundert aufhalfen.

Mit historischen Fotos, Landkarten, Gemälden, Dokumenten illustriert das Buch das Schicksal Altonas, natürlich auch dessen wirtschaftlichen Niedergang seit der Elbblockade der Engländer im 18. Jahrhundert, die Napoleon mit der Kontinentalsperre beantwortete, was viele Altonaer Geschäftsleute, da auf Export angewiesen, in den Ruin trieb.

Auch nach dem Ersten Weltkrieg kam Altona nicht aus dem Tief heraus, stattdessen zogen Arbeiter aus dem benachbarten – und florierenden – Ottensen dorthin: Das „rote Altona“ war geboren. Seine Bewohner wehrten sich später vehement gegen den aufkommenden Nationalsozialismus und bezahlten dafür 1932 mit dem „Altonaer Blutsonntag“.

Heute gelten Ottensen und Altona als „Standorte für Kreative“ – ein Anspruch, mit dem ausgerechnet das Altonaer Museum – eigentlich Aushängeschild Altonaer Identität – nicht mithalten kann. Das Haus versteht sich bislang nämlich eher als historisches und war deshalb mehrfach von Schließung bedroht. Mit seiner aktuellen Ausstellung über das 350-jährige Jubiläum der Altonaer Stadtrechte-Verleihung allerdings trifft es den Nerv der Zeit und ist zudem, Urkunden, Karten, Fotos präsentierend, genau in seinem Element.

Da passt es gut, dass dessen einstiger Chef Torkild Hinrichsen jetzt das Bändchen „Auf dänischen Spuren in der alten Stadt Altona“ ediert hat, das bunt, freundlich und informativ eine Art Stadtpaziergang nachzeichnet. Er führt den Leser längs der einstigen Prachtstraße, der Palmaille, vorbei an Klopstocks Grab, erzählt von Altonaer Fayencen und dem Architekten Christian Frederik Hansen. Und er verweilt immer mal wieder am hoch über dem Hafen gelegenen „Altonaer Balkon“. Dreht sich dann quasi stadteinwärts um und erzählt, dass das Altonaer Rathaus einst ein Bahnhof war.

Dass so ein leicht lokalpatriotisches Bändchen im gemütlichen Plauderton nicht ohne den Abdruck eines Gedichts auf die Eisenbahn auskommt, versteht sich da fast von selbst. Wobei man nie ganz sicher ist, ob das Zitieren dieses pathetischen, zur Grundsteinlegung 1844 gesungenen Liedes vom Autor nun ernsthaft patriotisch oder leis ironisch gemeint ist.

Ernst Christian Schütt: „Altonaer Geschichte(n)“. Bremen: Edition Temmen, 126 S., 9,90 Euro.

Holmer Stahncke: „Altona – Geschichte einer Stadt“. Hamburg: Ellert & Richter Verlag, 384 S., 19,95 Euro.

Torkild Hinrichsen: „Auf dänischen Spuren in der alten Stadt Altona“. Husum: Husum-Verlag, 115 S., 11,95 Euro.