Im Netz der Inquisition

OPER Christian von Götz bringt am Bremerhavener Stadttheater Giuseppe Verdis „Don Carlos“ auf die Bühne. Mit starken Bildern, tollen Sängern und klarer Linienführung

Die klare Linienführung des Abends setzt sich in markanten Szenen fort: Die intrigante Prinzessin Eboli sticht sich im Moment der Reue hochdramatisch auch noch das andere Auge aus

VON ANDREAS SCHNELL

Ein ganz schöner Schinken, dieser „Don Carlos“, selbst noch in der vieraktigen Fassung, die Giuseppe Verdi nach dem Desaster der Uraufführung des damals noch fünfaktigen Werks geschrieben hatte. Liebe, Politik, Freiheitskampf, Familiendrama – das erfordert natürlich auch eine Menge Personal. Und ist so nicht eben prädestiniert, von einem eher kleinen Haus wie dem Bremerhavener Stadttheater aufs Programm genommen zu werden. Intendant Ulrich Mokrusch hat es trotzdem getan. Und Christian von Götz hat ganze Arbeit geleistet.

Am gleichen Ort hatte er schon den „Barbier von Sevilla“ inszeniert, als knallbunten Hippie-Abend, mit Witz und Mut zum Klischee. Gewagte Übersetzungen verkniff er sich diesmal, setzte allerdings wieder auf starke Bilder. Ein Kreuz als Mittelpunkt des Geschehens, umgeben von Wänden, die Augen haben, überragt von einem Gitterkäfig, der sagt: Diese Figuren sind Gefangene. Und sie sind – ein Spinnennetz lässt wenig Zweifel daran – zutiefst verstrickt in ein soziales Gefüge, das sie nicht kontrollieren. Plakativ? Gewiss auch. Aber das hat auch den Vorteil, dass sich darin die komplexe Handlung problemlos verorten lässt. Auch wer mit Schillers zugrundeliegendem Langgedicht nicht vertraut ist und – einer der wenigen kleinen Makel dieses Abends – den Übertiteln wegen des sie gelegentlich überstrahlenden Lichts nicht ganz folgen kann, verliert sich nicht im Plot.

Der gewinnt seine Spannung einerseits aus der Liebesgeschichte zwischen dem Titelhelden und Königin Elisabeth, mit der er zwar einst verlobt war, die aber nun die Frau seines Vaters König Philipp ist – und damit seine Schwiegermutter –, andererseits den politischen Ambitionen Carlos’, der sich für die Freiheit Flanderns einsetzt und auch in dieser Sache seinem Vater in die Quere kommt. Eine weitere Ebene sind die Widersprüche zwischen Individuum und Obrigkeit, hier Kirche und Staat, die mit niederschmetternder Wucht die Oberhand behalten.

Die klare Linienführung des Abends setzt sich in markanten Szenen fort: Die intrigante Prinzessin Eboli, von der wieder einmal durch enorme Vitalität glänzenden Svetlana Smolentseva gesungen, sticht sich im Moment der Reue hochdramatisch auch noch das andere Auge aus, eindrücklich auch die kollektive Unterwerfung unter den König. Und dessen loyale, aber emotional untreue Gemahlin (Katja Bördner) irgendwann förmlich explodiert und mit Stühlen um sich wirft. Wie überhaupt Katja Bördner wieder einmal nicht nur stimmlich tiefen Eindruck hinterlässt.

Dabei darf man festhalten: Hier wird überhaupt auf bemerkenswertem Niveau gesungen, auch angesichts des Umstands, dass die meisten Partien mit festen Ensemblemitgliedern besetzt sind, einzig Wieland Satter als Philipp musste als Gast engagiert werden. Filippo Betoschi als Rodrigo Posa, Leo Yeun-Kun Chu als Großinquisitor, Tobias Haaks in der Titelrolle sind angemessene bis großartige Besetzungen.

Und auch das Orchester unter der Leitung von Marc Niemann sowie der von Jens Olaf Buhrow einstudierte Chor waren der nicht eben bescheidenen Aufgabe gewachsen. Bremerhaven gilt es also weiterhin im Auge zu behalten in Sachen Oper.

■ Samstag (heute), 19.30 Uhr, Stadttheater Bremerhaven