Von der Ruhe der Vergangenheit

Das Oberlandesgericht hebt Freispruch-Urteile gegen Bauwagenbewohner auf, die 2004 an einer bundesweiten Demonstration in der Hafenstraße teilgenommen hatten. Einstellung der Verfahren angeregt

49 Seiten umfasst das Urteil von Landrichter Rolf Helbert, mit dem er drei Beteiligte der Bauwagendemo „Einmal im Leben pünktlich sein“ vom Vorwurf der Nötigung freispricht. Auf 47 Seiten gibt Helbert die Ereignisse vom April 2004 wieder, dazu begründet er eineinhalb Seiten lang, warum die „Blockade“ der Hafenstraße durch 100 demonstrierende Wohnmobile wegen der „geringfügigen Verkehsbehinderungen“ „hinnehmbar“ und juristisch gesehen „nicht verwerflich“ gewesen sei. „Erfreulich kurz“, nannte der Vorsitzende Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) Klaus Rühle die Ausführungen – „aber etwas zu kurz“. Gestern hob das OLG die damaligen Urteile auf.

Rühle erläuterte, dass in einem Revisionsverfahren das OLG nur einen „ganz eingeschränkten Überprüfungsraum“ habe. Nämlich, ob die Rechtsausführungen das Urteil rechtfertigen oder nicht. Im vorliegenden Fall sei es um die Frage gegangen, ob bereits das Aufstellen der Fahrzeuge eine Nötigung anderer Autofahrer darstellt.

Ob das spätere polizeiliche Handeln falsch und eskalierend oder die Auflösung der Demonstration rechtswidrig war, habe das OLG nicht zu entscheiden gehabt. Rühle: „Das ist Sache der Tatsacheninstanz.“ Den Kern habe Richter Helbert zwar „formelhaft abgewägt“, jedoch gebe es „Lücken“, sagte Rühle, etwa in Fragen der Nichtanmeldung, Besonderheit, geplanten Dauer und Intensität der damaligen Demo. „Der Senat kann nicht feststellen, dass das Landgericht das alles abgewogen hat“, sagte Rühle. Daher könne vom Urteil das „falsche Signal“ ausgehen: „In der Hafenstraße kann jederzeit demonstriert werden, die Polizei regelt schon den Verkehr.“

Trotz des Erfolgs gab das OLG der Staatsanwaltschaft die Botschaft mit auf den Weg, das Verfahren „akzeptabel für beide Seiten zu beenden“. Für eine Fortsetzung würde sie „gute Gründe brauchen“, warnte er. Das Ganze bewege sich an der „untersten Grenze der strafrechtlichen Sanktionen“, so Rühle weiter. Die Aufhebung des Landgerichtsurteils sei „ein guter Ansatz, die Vergangenheit ruhen zu lassen“, sagte er.

Die Einstellung der Verfahren wegen Geringfügigkeit hatten Richter Helbert sowie die Verteidiger schon in der Vorinstanz angeregt. Dies wurde stets von der Staatsanwaltschaft kategorisch abgelehnt. KAI VON APPEN