„Kein Tanz um die Figur“

Johann Smidt taugt nicht für Feierlichkeiten – aber die Frage, wozu Stadtstaaten in föderalen Systemen taugen, lässt sich mit ihm gut erörtern. Zum 150. Todestag veranstaltet das Bremer Staatsarchiv eine Tagung zu dem Strategen und erbitterten Judenhasser, ohne den Bremen keinen Hafen hätte.

KONRAD ELMSHÄUSER ist Autor und leitet das Bremer Staatsarchiv. FOTO: PRIVAT

INTERVIEW BENNO SCHIRRMEISTER

taz: Herr Elmshäuser, wird Ihre Tagung eine große Smidt-Feier?

Konrad Elmshäuser: Nein, also das nun wirklich nicht. Natürlich ist die Bezugnahme auf eine Person immer schon eine Würdigung. Und tatsächlich haben wir lange überlegt, was wir zum 150. Todestag machen. Schließlich war Smidt für Bremen und Bremerhaven eine bedeutende Figur. Aber eben auch darüber hinaus eine bedeutende Figur …

Ein Lokalpolitiker? Wieso?

Man kann natürlich sagen: Das war auch wieder ein historischer Zufall – nämlich dass er zu einem Zeitpunkt, als die politische Landkarte neu gezogen wurden, eine Rolle gespielt hat. Beim Wiener Kongress, in Karlsbad und als Bremer Vertreter beim Bundestag in Frankfurt hat er sich für die Belange der Stadtstaaten eingesetzt. Und er konnte sogar Einfluss nehmen.

Ja, aber warum denn?

Vielleicht gerade, weil Bremen so klein und unbedeutend war: Dadurch konnte er glaubhaft vermitteln, dass er nicht fürs eigene sondern für ein übergeordnetes Interesse eintrat. Darüber kann man sich auch der Frage nähern, wo denn der positive Beitrag der Stadtstaaten zum Ganzen des Staatenbundes liegt. Die hat, denke ich, mehr Aktualität und mehr Pep: Sie steht ja auch auf der politischen Tagesordnung. Und sie ist, aus heutiger Sicht, nicht so leicht zu beantworten. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lassen sich wenigstens Ansätze finden.

Selbstlos war Smidt aber nicht: Die bremischen Interessen hat er auch geschickt vertreten, als er dem Haus Hannover Geestemünde, das heutige Bremerhaven, abgekauft hat …

Sicher, dass Bremen heute als Zweistädtestaat und Hafenstadt eine gewisse Bedeutung hat, verdankt das Land Smidt. Ohne ihn gäbe es hier ja gar keinen Hafen mehr. Smidt ist nicht ohne Grund der einzige Bürgermeister, nach dem eine Kirche benannt worden ist, natürlich in Bremerhaven, die Bürgermeister-Smidt-Gedächtniskirche …

Bei den Verhandlungen um Geestemünde – hat er da das Haus Hannover nicht schrecklich über den Tisch gezogen?

Das ist aber hässlich gesagt. Nein, eigentlich nicht. Es war geschickt verhandelt, das schon. Aber die Karten lagen ja auf dem Tisch, die Bremer haben nicht gesagt: „Ätsch, und jetzt gründen wir da einen Hafen.“

Beide wollten die Oldenburger klein halten?

Ja, das war ein gemeinsames Anliegen. Alle wussten von vornherein, worum es geht. Nur ahnte Hannover natürlich nichts von einem künftigen Land Niedersachsen. Allerdings: Als das vor 60 Jahren gegründet wurde, gab es schon intensive Bemühungen, sich Bremerhaven einzuverleiben. Nur hatte Bremen damals die amerikanischen Interessen auf seiner Seite.

Auf Ihrer Tagung …

… was wir jedenfalls nicht wollen, ist der Tanz um die Figur und ihre Bedeutung für Bremen. Das wäre nicht interessant genug. Die meisten Referenten kommen ja auch von außerhalb und beschäftigen sich eher mit dem Verhältnis vom Bundesstaat zum Staatenbund …

Dass Smidt Antisemit war...

… und Antidemokrat, klar, damit haben sich in letzter Zeit fast alle und beinahe ausschließlich beschäftigt – ausgehend wohl von der Vermutung, dass sei ein unbekanntes und unerforschtes Kapitel. Aber das ist Quatsch.

Ach?

Ja, das ist altbekannt. In den 1920er Jahren hat das ein völkischer Publizist, Johann Rüttnick, schon für sich funktionalisiert. Der hat versucht, aus Smidt eine Vorgängerfigur von Hitler zu machen. Wir hatten ursprünglich überlegt, ob man eine Tagung nur zu diesem Thema machen kann.

Gibt es da eine Verbindung zu den strukturellen Fragen? Oder ist der Judenhass persönlich motiviert und vielleicht noch Ausdruck der Kaufmanns-Angst vor Konkurrenz?

Ich fürchte, das ist von allem etwas. Smidt war ein Quereinsteiger: Der erste Ratsherr, der weder Jurist noch Kaufmann war. Er war Philosoph, hatte in Jena Fichte gehört. Und er war Theologe, das ist ganz wichtig. Er dachte nicht mit dem kaufmännischen Blick nur auf die Zahlen, der war kein enger Rechner, sondern mit einem – naja, systematischen Ansatz: Die Juden sind für ihn ein Fremdkörper im Staatswesen, ein Staat im Staate. Und so etwas darf es aus seiner Sicht nicht geben.

Okay, das ist die alte staatstheoretische Position von Thomas Hobbes …

Ja, aber diese Intoleranz wird noch durch das kommunitaristische Denken in Stadtstaaten verschärft.

Johann Smidt war ein Quereinsteiger: der erste Ratsherr, der weder Jurist noch Kaufmann war In den Flächenstaaten kümmert die Religionszugehörigkeit zu diesem Zeitpunkt die Potentaten fast gar nicht mehr

Warum das?

In den Flächenstaaten kümmert die Religionszugehörigkeit die Potentaten zu diesem Zeitpunkt schon fast gar nicht mehr: Solange die Bürger ihre Steuern zahlen, ist alles gut. Auch in Hamburg, das ja damals schon deutlich größer ist, hat das deutlich abgenommen. Aber in den kleinen Hansestädten, in Lübeck und in Bremen, da ist das sehr deutlich ausgeprägt: Man empfindet sich als Gemeinwesen, dem alle zugehörig sein müssen. Und jeder, der anders denkt, wird als Fremdkörper abgelehnt.

Also teilt man sich auch die Vorurteile?

Im Grunde ja. Für Smidt geht das jedenfalls so weit, dass er nur reformierte Christen duldet. Der hat sogar Lutheraner mit Abscheu verfolgt. Um wie viel mehr dann Juden? Dazu spielt mit Sicherheit noch persönliche Abneigung eine Rolle…

Woraus schließen Sie das?

Na, er setzt diesen Judenhass auch politisch um, und wieder nicht nur in Bremen, sondern arbeitet daran auch im Bund. Eine so intensive negative Zuwendung – das steht in gar keinem Verhältnis zu der damals existierenden jüdischen Gemeinde in Bremen.

Die war nicht so groß.

Nein. Und das waren auch keine Rothschilds, sondern nur ein paar arme niedersächsische Landjuden, die versucht haben, in Hastedt Fuß zu fassen. Nur haben sich eben einige an die Rothschilds in Frankfurt gewandt, mit der Bitte um Hilfe. Dass er da als Bremer Vertreter beim Bundestag vorgeführt werden sollte, hat Smidt ihnen nicht verziehen.

Smidt-Tagung: 22./23. 6., Haus der Wissenschaft, Sandstr. 3, Bremen. ReferentInnen: Nicola Wurthmann (HB), Frank Hatje, Hans-Dieter Loose, Franklin Koptzsch (HH), Michael Hundt (HL), Andreas Schulz (B); Beginn: 14 Uhr