Berliner Platten
: Tricky in der Musik: Vivie beklaut Stereo Total, und die Decades haben gleich ein ganzes Jahrzehnt gemopst

Ach ja, die Kunst und ihre Folgen. Das zum Beispiel hätte jetzt nicht unbedingt sein müssen, dass einem nun eine Vivie ans Ohr geht: „A.M.E.R.I.K.A.“ trällert es, mit einem erhellenden „wir kommen aus Amerika“ hinterher. Und das alles nur, weil hier in der Stadt gerade in der Neuen Nationalgalerie die gut abgehangenen Franzosen aus dem New Yorker MoMA zu sehen sind. Aber an so einem Ort treibt sich andererseits halt auch eine Menge an Menschen herum, die von dieser Ausstellung vielleicht doch irgendwas mitnehmen will. Ein Andenken. Deswegen gibt es jetzt die Vivie-Single mit dem einem Manet-Bild nachgestellten Cover und einer fröhlich scheppernden Musik, die in ihrem Retrotouch genauso klingt wie Stereo Total. Allerdings in einer abgefeimten Bubble-Gum-Version. Drei Versionen von „A.M.E.R.I.K.A.“ sind auf der CD-Single zu hören, und zu dem aus dem Margarinetöpfchen gebutterten Spaß gibt es als Zugabe noch ein eher ernst gemeintes Musette-Chanson von Vivie, der Französin in Berlin.

Und Synthiepop ist sowieso ein musikalisches Gewerbe, bei dem man kaum zu Scherzen aufgelegt ist. „Secrecy“ haben Decades ihr zweites Album genannt, und da kann man nur staunend auf dem Sofa sitzen, während die CD im Player läuft. Denn an dieser Musik findet sich kein Fitzelchen an Retro. Nichts ist es hier mit irgendwelchen Anleihen an Vergangenheit für eine wie auch immer geartete Gegenwart. Nö! Das Trio aus Berlin – es benannte sich nach dem gleichnamigen Song vom „Closer“-Album von Joy Division – tut einfach so, als hätte es die Neunzigerjahre mit dem nachmaligen Jahrtausendwechsel überhaupt gar nie nicht gegeben.

Das ist natürlich ein mit ordentlicher Chuzpe vorgetragener Coup: die Posthistoire. Das Ende der Geschichte. So bekommt man mit „Secrecy“ diese Synthie-Dreiklangdimensionen im wirklich porentiefen Achtziger-Design. In ihrer pragmatischen Harmonik flutschen sie einem so ins Ohr, dass man diese fröhlich melancholischen Liedlein gleich mitsummen möchte. Außerdem muss schon auch gesagt werden, dass der Sänger Stefan Leukert eine angenehme Stimme hat, die sich nicht einmal zu arg pathetisch aufplustert.

Zwischen den Eckmarkierungen Schlager (in den Melodien) und Jean-Michel Jarres „Oxygene“-Vermächtnis (die musikalische Aufbereitung) pluckert der Decades’sche Synthiepop freundlich dahin, und das passiert dann allerdings doch so beiläufig, dass man sich mit der fortlaufenden Zeit (die die Band eigentlich als sinnstiftendes Kontinuum abgeschafft hat. Posthistoire!) auf seinem Sofa zur Ordnung rufen muss. Um nicht wegzudämmern in diesem gleichmäßigen, Stück für Stück ähnlich gestimmten Wabern mit den leichten Weiheanteilen, die in der Zunft der Zartbitter-Electrowave nun mal als Pflicht festgeschrieben sind. Fans wissen das bestimmt zu schätzen, dass Decades aufrechte Ministranten für ihre Sache sind. Zum übergreifenden Sprung in andere Religionsgemeinschaften der Popmusik aber ist „Secrecy“ dann aber doch zu eintönig. Zu harmlos. THOMAS MAUCH

Vivie: „A.M.E.R.I.K.A.“ (MetaDesign/OUR Distribution)

Decades „Secrecy“ (Civic Dust Company)