richard rother über den klimawandel im kleinen
: Wie ich einen illegalen Ahorn pflanzte

Am Boxhagener Platz in Friedrichshain vor dem Haus Nummer 73 in der Grünberger Straße. Hier steht ein schöner, vermutlich knapp 15-jähriger Ahornbaum. Seine höchsten Zweige ragen bis in den zweiten Stock, sein Blattwerk ist kräftig und sein Stamm mit einem Durchmesser von zehn Zentimetern so stabil, dass ihm auch das permanente Anschließen von Fahrrädern kaum noch schadet. Ein schöner Anblick – zumal der Baum mittlerweile große Mengen des klimaschädlichen Gases Kohlendioxid bindet und Staub aus der Berliner Luft schluckt.

Bäume gibt es viele, aber dieser Ahorn ist kein gewöhnlicher. Er ist illegal – auch wenn er mittlerweile eine offizielle Nummer trägt und somit im Berliner Baumbestand registriert ist. Wer das Weltklima retten will, muss handfeste Argumente und ein – sagen wir – flexibles Rechtsstaatsverständnis haben. Das zeigt die Geschichte, wie dieser Baum gepflanzt wurde. Heute, mehr als zehn Jahre danach, kann ich sie getrost erzählen, da alle möglichen Missetaten verjährt sind.

Damals machte sich noch kaum jemand Gedanken um das Weltklima, und auch mir war das in jenem Moment wurst, als ich beschloss, vor meinem damaligen Wohnhaus ein Bäumchen zu pflanzen. Schließlich standen vor den Nachbarhäusern prächtige Linden, nur vor unserem befand sich eine Baumlücke. An einem Sonntag im April machte ich mich an die Arbeit. Zunächst riss ich das Kopfsteinpflaster auf einem guten Quadratmeter auf; dann begann ich, ein tiefes Loch zu buddeln.

Eine halbe Stunde später hielt ein Streifenwagen der Polizei. „Was haben Sie denn hier vor?“, fragte der Polizist, der ausstieg. „Ich möchte einen Baum pflanzen“, sagte ich und wies auf eine Schubkarre voller Humuserde, die ich zuvor von unserem Komposthaufen im Hinterhof geholt hatte. Der Polizist schaute, als ob ich Haschisch verkaufen wollte, und fragte, ob das Ganze nicht nur Tarnung sei, um schon mal einen Steinevorrat für eine mögliche Randale am 1. Mai anzulegen. „Nein“, meinte ich und versicherte ihm, die Steine baldmöglichst zu entsorgen. „Sie können ja in zwei Stunden wiederkommen und schauen, ob der Baum in der Erde ist und die Steine weg sind.“ Nach kurzen Beratung mit seinem Kollegen im Streifenwagen ließ er sich auf diesen Handel ein.

Um glaubwürdig zu bleiben, sammelte ich sofort die Steine in die Schubkarre, die ich zuvor in das gegrabene Loch entleert hatte. Diese Fuhre brachte ich an eine nah gelegene Straßenbaustelle. Dort lagen bereits mehrere Steinhaufen, und ich kippte meine Fracht dazu. Jetzt galt es nur noch, einen geeigneten Baum zu finden.

Mit einem Spaten bewaffnet, zog ich auf den kleinen Friedhof in der Boxhagener Straße. Am hinteren Ende hatten sich, wie ich bei einem Spaziergang gesehen hatte, auf einem verwilderten Teil des Geländes dutzende junge Bäume selbst ausgesät und waren angewachsen. Ein kräftiger, etwa eineinhalb Meter hoher Ahorn schien mir am besten geeignet. Mit dem ausgegrabenen Bäumchen lief ich schnell zu unserem Wohnhaus zurück, damit die Wurzeln nicht antrocknen würden.

Das Bäumchen einzupflanzen und anzugießen, dauerte nur wenige Minuten. Leider war damit das Tagwerk noch nicht vollbracht. Zwar tauchte die Polizei nicht mehr auf, dafür aber ein Wichtigtuer, der schon am frühen Nachmittag stark nach Alkohol roch. „Was du hier tust, ist illegal“, meinte der damals etwa 45-jährige Mann. Das gehe ihn überhaupt nichts an, sagte ich. „Sogar die Polizei hat sich daran nicht gestört.“ Der Mann ließ sich nicht beruhigen, sondern fasste das zarte Stämmchen an. Ich hob den Spaten und meinte, er solle sich gut überlegen, ob er den Baum rausreißen wolle. Die deutliche Geste bewirkte immerhin, dass er vom Baum abließ und sich mir zuwandte.

Glücklicherweise kamen mir, vom Lärm aufgeschreckt, Nachbarn zu Hilfe. Sie drängten den Mann, der ob der Übermacht mehrerer Personen nur noch verbale Drohungen ausstieß, Meter um Meter fort. Irgendwann zog er von dannen.

In der darauf folgenden Nacht schlief ich schlecht, weil ich fürchtete, der Mann könne zurückkehren und das Bäumchen zerstören. Er tat es offenbar nicht – und der Baum überlebte noch viele weitere Gefahren: Blattläuse, trockene Sommer, Hundeurin, Falschparker. Jetzt hat er das Gröbste überstanden. RICHARD ROTHER

Das Wochenendwetter: wenig sommerlich, immer mal Regen, um die 20 Grad Der Tipp: Bäume muss man nicht stibitzen, es gibt sie als kleine Setzlinge auch zu kaufen