Mein Brooks-Ledersattel!

Wenn jetzt schon die Chefs aufs Fahrrad umsteigen, kann doch etwas hier nicht stimmen

Der Schlager „Mir san mit dem Radl da“ stammt aus den 70er-Jahren, als Fahrradfahren so ziemlich die unmodernste Art der Fortbewegung war. Jeder Student konnte sich damals ein Auto leisten, nur Betrunkene, Kinder und einige Spinner benutzten in jenen Tagen das Rad. Es war fast peinlich, mit dem Fahrrad auf eine Geburtstagsfeier oder gar zur Arbeit zu kommen.

Der Chef eines internationalen Industrieunternehmens mit Sitz in Liechtenstein verblüffte mich darum vor wenigen Tagen, als er in seinem Büro zuerst die Klammern an seinen Hosenbeinen löste und mir dann von seinem Brooks-Ledersattel seines Fahrrads vorschwärmte. Wirklich sehr bequem sei der und sogar gefedert. Bei seiner Position und seinem vermuteten Einkommen war ich eher auf die Beschreibung von Mercedes-Ledersitzen vorbereitet. Stattdessen lobte er seinen Fahrradsattel.

Dieser Chef fährt jeden Morgen 21 Minuten von seinem Wohnort mit dem Zug und weiter vom Bahnhof noch zwanzig Minuten mit dem Rad zu seiner Firma, weil er „dann den Kopf viel freier“ habe, als wenn er sich mit dem Auto durch den Stau gefressen hätte. Und weil er diese Erfahrung auch seinen 220 Mitarbeitern gönnen will, zahlt er jedem seiner Beschäftigten, der das Fahrrad zur Arbeit nimmt und dafür sein Auto stehen lässt, eine Fahrradprämie. Da kommen im Jahr immerhin 360 Euro zusammen. Vor dem Haupteingang zur Firma, wo sonst die Parkplätze für die Geschäftsführung reserviert sind, ließ er Fahrradständer anbringen.

Der vielleicht berühmteste Oberbürgermeister dieser Republik, der grüne Boris Palmer aus Tübingen, hat seine leitenden Angestellten dazu verpflichtet, Dienstreisen in die nähere Umgebung mit dem Fahrrad zu absolvieren. Ausnahmen müssen schriftlich beantragt werden. Wer in Zukunft mitreden will, sollte also wissen, was ein Brooks-Ledersattel oder ein Nabendynamo ist. Kürzlich hatte ich einen Mietwagen bestellt und anstatt des vereinbarten Golf war nur noch ein BMW-Sportwagen mit fast 200 PS auf dem Hof. Die nette Dame an der Service-Theke glaubte, mir einen Gefallen zu tun, als sie mir den Schlüssel überreichte. Ich zwängte mich in den Schalensitz und hoffte, dass mich niemand sah. Am Ziel angekommen, parkte ich den Wagen außer Sichtweite zu meinen Gesprächspartnern. Es wäre mir peinlich gewesen.

Aber Liechtenstein scheint gar nicht so weit weg: Jetzt hat der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club (ADFC) die Aktion „Mit dem Rad zur Arbeit“ ausgerufen und versucht, die Deutschen von den Vorteilen einer Strampeltour vor Dienstbeginn zu überzeugen. Der Verein zahlt zwar keine Prämien, weist dafür aber auf den Gesundheitswert einer solchen Fortbewegung hin. Radfahrer seien gesündere Menschen.

Tatsächlich hatte der Chef des Liechtensteiner Unternehmens eine Statistik auf den Tisch gelegt, die jeden seiner deutschen Kollegen an ein medizinisches Wunder glauben lassen müssen: Seit nur noch knapp über die Hälfte aller Mitarbeiter mit dem eigenen Auto zur Arbeit kommen, hat sich die Zahl der Krankheitstage unter seinen Angestellten auf sagenhafte zwei pro Jahr gesenkt. Radfahren als Lösung. Man hatte ja schon geglaubt, nur noch Dopingsündern auf zwei Rädern zu begegnen.

Meine Villa, mein Maserati, mein Swimmingpool – es zieht nicht mehr. Paradigmenwechsel nennen das die Soziologen. Noch sind es wenige, aber ihre Zahl wächst. Schon werden die ersten Golfplätze mit der Sense gemäht. Hummer bleiben in den Edelrestaurants liegen, stattdessen wird nach Blutwurst-Ravioli verlangt. Nicht der Rolex-Träger genießt die größte gesellschaftliche Anerkennung, sondern der, der keine Uhr mehr nötig hat. Irgendetwas stimmt hier doch nicht.

Wenn man Kurt Beck neben Rudolf Scharping stellt und die beiden Figuren betrachtet, könnte der ADFC recht haben. Scharping, oberster Radfahrer der Nation, hat nach seiner abgebrochenen Karriere in der Partei sein wahres Thema gefunden. Er fühlt sich wohler als je zuvor.

Schröder hat sich dem Gas gewidmet und seine Erfüllung gefunden. Matthias Platzeck soll ein sehr guter Hobbygärtner sein, seit er den Parteivorsitz abgab. Beck ist noch nicht so weit. Er sucht noch nach einer sinnvollen Betätigung für die Zukunft. Der deutsche Sängerbund wird bald einen neuen Vorsitzenden brauchen. Das könnte passen.

PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH

Fragen zum Fahrrad? kolumne@taz.de Montag: Martin Reichert LANDMÄNNER