Buch der Ergüsse

Wo Phantasie funkeln soll, entdeckt man hier einen Steinbruch: Anselm Glücks Nichtromanroman „Die Maske hinter dem Gesicht“

Das Subjekt der Moderne ist bekanntlich zerrissen. Das weiß man spätestens seit Pessoas 1982 posthum erschienenem „Buch der Unruhe“, das die Auflösung und Vervielfältigung des Ichs auf eine formale Ebene hebt und in kryptischen Tagebuchaufzeichnungen spiegelt. Die Form von Anselm Glücks neuem Buch, „Die Maske hinter dem Gesicht“, entspricht dieser Diagnose der Moderne und kommt so erstmal als eine Herausforderung an den Leser daher: Eine Handlung oder auch nur einen roten Faden, der durch das literarische Labyrinth des 1950 in Linz geborenen Malers und Schriftstellers führt, gibt es nicht. Streckenweise überwiegt der Lektüreeindruck lose aneinandergereihter Prosaminiaturen. Allenfalls von einer Rahmenhandlung könnte man sprechen: Ein Schriftsteller steigt aus einem Zug, tritt eine Stipendiatenstelle in einem Literaturhaus an und beschreibt in flüchtigen Impressionen und Reflexionen, was ihm begegnet oder im Kopf herumschwirrt.

Roman oder nicht Roman, das ist hier nicht nur die Frage, sondern gleichzeitig eine ironisierende Vermarktungsstrategie. Auf dem Cover nämlich ist das Buch offensiv als Roman ausgewiesen. Der Klappentext dagegen verweist hübsch paradox darauf, dass dieser Roman eigentlich keiner sei. „Nur für den Fall, dass es der Kritik nicht auffallen sollte.“ Dann wiederum soll das Buch doch ein Roman sein, da es angeblich „so viel Intelligenz, Unmoral, Moral, Sprachschärfe und Phantasie funkeln lässt“, wie es nur ein Roman könne. Zu Beginn der Lektüre hat man auch tatsächlich noch den Eindruck, es hier mit einer Art literarischem Steinbruch zu tun zu haben, der einiges Entdeckungspotenzial birgt. Man möchte das Buch aufgrund des originellen Aufbaus beinahe aus Prinzip mögen. Mit jeder gelesenen Seite aber wird die Befürchtung bestätigt, dass der Autor der ambitionierten Form sprachlich und inhaltlich nicht gerecht wird.

Bücher, die den Leser ratlos stimmen, sind häufig nicht die schlechtesten. Dieses aber hält nicht, was es verspricht. Im Gegenteil: Man begegnet immer wieder wenig originellen Plattitüden: „Ich rede mit Gott. Wie Präsident Bush … Wieso Gott auch mit Bush redet, verstehe ich nicht. Meiner Meinung nach täuscht er sich.“ Glücks moralische Ergüsse sind mitunter erschreckend banal: „Wir sehen im Nächsten nur noch die Beute … Gott freilich erzählen wir etwas anderes. Wir lügen ihn an … Wir werden büßen. Wie Bush und seine Regierung.“ Solche Sätzen verschaffen weder poetischen Genuss, noch sind sie eine intellektuelle Bereicherung. Von Unterhaltungswert ganz zu schweigen.

Interessanter sind die Milieubeschreibungen, die Schauplätze in Graz oder Wien. Auch sind Glücks Figuren nicht ohne Reiz. So die blonde, Blondinenwitze erzählende Gerda, die als Kind regelmäßig von einer lesbisch-päderastischen Nonne gezüchtigt wurde. Glück schildert sie als eine Art Josefine Mutzenbacher: „… weil Schwester Lukrezia ihrerseits zwar fest, aber nicht gar so fest zuschlug, kurz den kleinen Po umspannte und umso eindringlicher ihr Knie an der kleinen Möse rieb, war diese Behandlung für Gerda bald nicht mehr gar so schlimm.“ Von einer Milieustudie kann allerdings auch nicht die Rede sein. Wahrnehmungen und Eindrücke wirken zu beliebig. Manchmal möchte man einfach weiterblättern. Was bleibt, ist der Eindruck eines postmodernen Verwirrspiels nur um des Verwirrens willen. TOBIAS SCHWARTZ

Anselm Glück: „Die Maske hinter dem Gesicht“. Jung und Jung, Salzburg, Wien 2007, 348 Seiten, 25 Euro