„Frauen hatten früher Angst“

Niemand hat den Ruhrgebietsfußball im vergangenen Jahrzehnt so geprägt wie Rudi Assauer. Jetzt ist er Rentner. Von Nostalgie will der frühere Schalke-Manager trotzdem nichts hören. Ihm ist ein überdachtes Stadion mit Logen lieber als eine Holztribüne mit Randale.

INTERVIEW LUTZ DEBUS

taz: Herr Assauer, was machen Sie gerade?

Rudi Assauer: Sehen Sie doch. Ich sitze hier, rede mit Ihnen, rauche eine Zigarre und trink eine Flasche Wasser. Das reicht doch.

Ich meine, was machen Sie beruflich?

Ich bin in Rente, wie sich das gehört.

Sie gelten als das personifizierte Ruhrgebiet. Dabei kommen Sie doch aus einem ganz anderen Bundesland.

Hören Sie doch mit der Geschichte auf, dass ich von hier nicht gebürtig bin. Das ist doch ganz einfach. Meine Eltern haben in Herten gewohnt und da werden sie auch meine Schwester und mich gezeugt haben. Anders ist das ja nicht möglich gewesen. Als am Ende des Zweiten Weltkrieges Bomben hier runterkamen, und zwar reichlich, und meine Mutter hochschwanger war, hat man ihr, einer gebürtigen Saarländerin, gesagt, dass es das beste sei, die Kinder im Saarland zur Welt zu bringen. Sie ist mit dem Zug dann dahin gefahren, hat uns zur Welt gebracht und ist nach einer Woche wieder zurück. Ich bin also kein Saarländer.

Dem gebürtigen Saarländer gefällt es hier inzwischen?

In Deutschland gibt es ja keine spannendere Region als das Ruhrgebiet. Hier spielen knapp zehn Vereine im bezahlten Fußball. Das schönste wäre, wenn die Hälfte der Bundesliga hier zu Hause wäre. Dann hätten wir kurze Wege. Und die Attraktion Fußball wäre noch bombastischer. Ist doch schön, wenn jetzt Duisburg wieder aufsteigt.

Viele Fans sagen: Sitzen ist für‘n Arsch. Doch der Fußball ist immer mehr in die VIP-Lounge verlagert worden. Ist das traurig?

Das ist ein normaler Ablauf. Aber wir haben nach wie vor hier Stehplätze. Wir sind doch nicht in England, wo es nur noch Sitzplätze gibt. Nach der Katastrophe in Brüssel, bei der es damals leider reichlich Tote gab, haben die Engländer ja die Stehplätze abgeschafft.

Aber auch hier wird doch die Bundesliga immer mehr zum Show-Event.

Deutschland ist ein Schlaraffenland für Fußballfanatiker, vom Komfort her, von den Möglichkeiten her. Man kann auch mit der Frau, auch mit den Kindern in das Stadion gehen. Der Frauenanteil war früher bei zwei Prozent – höchstens. Heute liegt er bei 20, 25 Prozent. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es so Klasse-Stadien wie wir sie mittlerweile haben.

„AufSchalke“ ist mehr eine Multifunktionsarena als ein richtiges rechteckiges Fußballstadion.

Ein modernes Stadion ist doch wichtig, um den Fußball weiter nach vorne zu bringen. Wenn Sie unbedingt in den alten Dingern weiter im Regen stehen wollen, brauchen Sie natürlich keine neuen Stadien. Die Leute sitzen bei uns jetzt im Trocknen. Sie wissen, dass nichts passieren kann, dass es keine Randale mehr gibt. Frauen haben früher Angst gehabt, nicht nur vor dem Regen sondern auch, dass da was passiert.

Aber gehörte das nicht auch dazu? Der Regen nach der Halbzeit und die demolierte Straßenbahn nach dem Spiel?

Das kann man so oder so sehen. Aber das ist wie in anderen Wirtschaftszweigen auch. Es wird immer etwas Neues kommen. Die ganze Geschichte würde sonst stehen bleiben. Wir müssten die alten englischen Fußballstadien aus Holz nachbauen.

Als Nostalgiker habe ich bei Ihnen keine Chance?

Wenn so eine Hütte in Flammen steht, ist es etwas schwieriger, sie zu löschen. Schön am Fußball ist doch, dass er so populär wurde. Für das gesamte Ruhrgebiet ist es fast schon ein Muss, in das Theater zu gehen, sprich in das Fußballtheater. Ob es in Dortmund ist, auf Schalke, in Bochum oder jetzt eben in Duisburg. Das ist Fußballgenuss pur.

Und die Sponsoren trinken Schampus in ihren Glaskästen, schauen dabei noch nicht mal auf den Rasen.

Vielleicht haben wir das ein bischen überzogen mit den Logen. Aber ohne geht‘s nicht.

Die Logen haben auch was mit dem großen Geld zu tun?

Das Geld gehört doch mittlerweile mit dazu. Glauben Sie, dass Real Madrid oder die englischen Vereine die Champions League gewonnen hätten, wenn da nicht genug Geld dahinter gestanden hätte?

Gibt es denn auch dreckiges Geld, das man nicht annehmen sollte? Ich denke da an Gazprom.

Was ist denn da dreckiges Geld?

Dreckiges Geld von Gazprom und dem lupenreinen Demokraten Putin.

In England müsste der Fußball dann ja zumachen. Da gibt es sechs oder sieben Vereine, die aufgekauft worden sind von Leuten, die kommen was weiß ich woher. Fly Emirates ist Hauptsponsor von Arsenal.

„Vielleicht haben wir das ein bischen überzogen mit den Logen. Aber ohne geht‘s nicht.“ „Bei uns ist der Fußball Kultur. Ich weiß nicht, ob er das im Osten auch ist.“

Wie kam es eigentlich zustande, dass Gerhard Schröder einen Sponsor für Schalke fand?

Weil es naheliegend war. Weil er nach seiner Verabschiedung als Kanzler nun mal in diesem Geschäft tätig ist.

Aber dann hätte er doch zu seinem Verein gehen können? Er ist doch BVB-Fan.

Ich glaube nicht, dass Gazprom irgend einen Verein X genommen hätte. Die werden sich schon Gedanken gemacht haben, wer für sie am interessantesten ist.

Warum war Schalke interessanter?

Schalke ist, was Fußball betrifft, eine der drei besten Marken in Deutschland. Dortmund gehört da im Moment nicht zu. Das ist so.

Hatten Sie mal Kontakt zu Jürgen Möllemann?

Ich hatte ein ausgezeichnetes Verhältnis zu Jürgen Möllemann. Das hat wunderbar funktioniert damals. Bei ihm als Aufsichtsratsvorsitzenden haben die Sitzungen nicht drei, vier Stunden gedauert, da waren wir in einer Stunde durch damit. Jürgen Möllemann war ein exzellenter Mann, hat die Dinge sofort auf den Punkt gebracht. Das ging nur Zack-zack-zack-zack-zack. Ich hab hervorragend mit ihm zusammen gearbeitet. Ich bin sogar mal ihm zu Liebe bei der FDP Mitglied gewesen.

Sein Leben endete in einer Tragödie.

Das ist wieder eine andere Geschichte. Das lag ja nicht am Fußballsport.

Gibt es eigentlich noch rechtsradikale Schalke-Fans?

Ich habe keine ausgemacht. Ich schließe nicht aus, dass es da ein kleines Grüppchen gibt. Aber die großen Zeiten der Zusammenrottung von Gewalttätern ist vorbei.

Im Westen zumindest. Im Osten nicht.

Im Osten gibt es eine andere Situation.

Wenn Sie in den Osten fahren, bekommen da die Spieler von Schalke, die nach Migrationshintergrund aussehen, auch schon mal was zu hören? Fliegen da Bananen auf das Spielfeld?

Natürlich. Seitdem ich mit unseren Jungs in Cottbus gespielt habe, sind da die Bananen geflogen gegen Asa.

Ist das schön?

Das ist eine Katastrophe. Jeden einzelnen, der das macht, müsste man sich eigentlich zur Brust nehmen, damit er weiß, um was es geht.

Geboren: 30.4.1944 in Sulzbach-Altenbach. Aufgewachsen in Herten. Liiert mit der Schauspielerin Simone Thomalla.

Fußballprofi von 1964 bis 1976. 307 Bundesligaspiele für Borussia Dortmund und Werder Bremen. Mit dem BVB 1966 Europapokalsieger.

Von 1976 bis 1981 Manager bei Bremen, danach Wechsel nach Schalke. Dort nach vier Jahren wegen Erfolglosigkeit entlassen. Im April 1993 Rückkehr an die Emscher. Formte gemeinsam mit Trainer Huub Stevens die Eurofighter-Mannschaft, die 1997 den Uefa-Cup nach Schalke holte. Hinterließ auch bleibende Spuren am DFB-Pokal, den Schalke 2001 und 2002 unter seiner Regentschaft gewann: Nachdem der „Kaschmir-Hooligan“ (Ex-BVB-Manager Michael Meier über Assauer) die Trophäe fallen gelassen hatte, war der Pott verbeult und musste repariert werden.

Wichtigstes Projekt von Assauer war der Bau der Arena „AufSchalke“. Nach deren Fertigstellung geriet er immer wieder in Konflikt mit dem Schalke-Aufsichtsrat um den Fleischfabrikanten Clemens Thönnies. Im Mai vergangenen Jahres trat Assauer zurück, um seinem Rauswurf zuvor zu kommen. Seitdem hat er Auftritte als Premiere-Experte und professioneller Veltins-Trinker.

Wie erlebt Gerald Asamoah rassistische Handlungen?

Er hat sich mittlerweile damit abgefunden. Das erste Spiel mit ihm in Cottbus war grausam. Da lagen mehr Bananen auf dem Platz als sonst was. Man hätte normalerweise das Spiel abbrechen müssen.

Solche Exzesse passieren doch im Westen nicht in dem Maße?

Früher haben sich bei uns die harten Jungs vor dem Spiel erst mal eins vor die Schnauze gehauen. Das ist ja nun hier vorbei.

Woran liegt es, dass im Osten die Uhren anders ticken?

Wenn Sie die Stadt Cottbus sehen, wissen Sie, warum das da so ist. Gucken Sie sich mal die Leute an, die da rumhängen. Wie viel Prozent Arbeitslose haben die da? Ich hab ja noch Verständnis, dass jemand Frust hat, wenn er keine Arbeit hat. Aber inzwischen gehen da Schläger los und ziehen mit ihren Aktionen den Deutschen Fußball in einen Sumpf.

Irgend etwas müssen Sie im Ruhrgebiet richtig gemacht haben, dass es hier nicht so schlimm ist. An der Arbeitslosenquote allein kann es nicht liegen. Arbeitslose gibt es doch auch in Gelsenkirchen.

Das hat was mit Kultur zu tun. Der Fußball ist hier Kultur. Ich weiß nicht, ob er auch im Osten Kultur ist.

Was ist er im Osten?

Das ist so eine Mischung aus Spaß am Sport und Frustverarbeitung. Manche hatten auch schon immer eine Wut auf die Wessis, die ist von Generation zu Generation vererbt worden.